Wir treffen uns morgens gleich im Zug Richtung Rosenheim; Basti und Betty kommen bereits aus München, Michael und Christoph steigen in Grafing Bahnhof zu. Kurz vor Rosenheim steht der Zug, der bisher pünklich war, fünf Minuten vor dem Bahnhof herum, so dass wir schon Angst bekommen, unseren Anschluss nach Innsbruck zu verpassen - aber dieser steht zum Glück außerplanmäßig am Gleis gegenüber, und die Fahrkarten haben wir bereits gestern in München gekauft. Der kleine Regionalzug lässt sich viel Zeit für die Strecke, und wir beschäftigen uns mit den Umfragebögen, die uns die Frau von der ÖBB ausgeteilt hat, und amüsieren uns über die seltsame Eigenintelligenz der automatischen Tür.
Gegen 10 Uhr sind wir in Innsbruck; Betty kauft sich noch einen Snack, und dann suchen wir unseren Anschlusszug auf Gleis 21, den man dank Bauarbeiten erst über einen längeren Fußmarsch über den Busbahnhof erreicht. Weiter geht es durch das Inntal nach Westen, die Berge werden höher, das Tal enger, der Fluss schmäler und wilder, die ersten Rafting-Schlauchboote zeigen sich auf dem Inn, und kurz darauf erreichen wir Imst. Der Bahnhof liegt direkt neben einer steilen Felswand in einer leichten Kurve; gleich, nachdem wir ausgestiegen sind, scheucht uns ein Bahnangestellter vom Bahnsteig, weil kurz darauf ein Gegenzug ankommt und dazu kleine Schranken den Fußgängerüberweg versperren. Direkt hinter dem Bahnhofsgebäude spricht uns der Nächste an: ein Taxifahrer, der uns anbietet, uns für 15 € pro Person nach Mittelberg zu fahren. Aber wir lehnen dankend ab - der Bus kommt bereits in zehn Minuten, und kostet nur 6,80 €. Rund eine Stunde dauert die Fahrzeit durch das Pitztal (die wir teilweise schlafend verbringen), und wir sind froh, es nicht laufen zu müssen, denn wir hätten auch nur entlang der Straße gehen können. Je weiter wir in das Tal hinein kommen, desto prächtiger werden die Hotels für die Wintersportler und die Lawinenverbauungen außen herum.
Der Ort Mittelberg besteht nur aus ein paar Häusern am Ende vom Tal; der Bus hält vor der Brücke am Ortseingang, und von dort aus startet auch der Wanderweg. Auf einer Schotterstraße, auf der uns ein paar mal Autos überholen, geht es vorbei an der Materialseilbahn und einem Wirtshaus, dann verwandelt sich die Straße in einen Wanderweg, und wenig später kommen wir zu einem Wasserfall. Ein ziemlich kräftiger Bach fällt hier eine Felsstufe hinunter, gurgelt um ein paar Felsen herum, um sich dann ins Pitztal zu ergießen; dabei bläst er einen feinen Nebel in die Umgebung, die jeden, der zu nahe steht, innerhalb von Sekunden nass macht. Wie muss es hier erst während der Schneeschmelze aussehen? Zur Überwindung des Baches ist ein Seil gespannt, und wenn man darauf verzichten will, dürfte man schlechte Karten haben.
Aber der Weg führt uns im Zickzack an den Felsen neben dem Wasserfall nach oben; das kostet Kraft, aber es geht fast wie im Fahrstuhl nach oben. Als wir die Oberkante der Stufe erreichen, werden wir schließlich mit dem Anblick des Gletschers entschädigt: er endet in einem Gletscherbruch, aus dem Gletschertor ergießt sich das Wasser fast unmittelbar in den Wasserfall. Streckenmäßig sind wir praktisch schon am Ziel, nur nach oben geht es noch ein Stück; nach der nächsten Steigung um eine Felsnase herum kommt jedoch schon die Braunschweiger Hütte (2759 m) in Sicht. Endspurt, und erstmal auf der Terrasse in die Sonne gesetzt!
Dann ziehen Wolken auf, und es wird ziemlich bald kühl - wir sind immerhin auf fast 3000 m Höhe. Darum verziehen wir uns in die Hütte und ordern erstmal was zu trinken; um 17:00 werden die Schlafplätze vergeben, wir nehmen Matratzenlager (das sich unten im Winterraum befindet), anschließend ist es schon Zeit für das Abendessen. Alle Tische in der Stube sind reserviert, darum hocken wir uns nach draußen in die Abendsonne und futtern unsere Vorräte.
Die Nacht war etwas kalt, weil irgend ein Kälteterrorist das Fenster geöffnet hat, und so stehen wir schon um 6:30 auf. Mit unseren Vorräten verziehen wir uns in die Stube und frühstücken dort, während draußen die Sonne langsam die Nachbargipfel erleuchtet. In der allgemeinen Aufbruchsstimmung packen wir zügig unser Zeug und machen uns auf den Weg, den anderen Gruppen hinterher durch das steinige Tal hinter der Hütte und dann hinauf zum Rettenbacher Jöchl. Die Italienergruppe, die vor uns gestartet ist, holen wir ziemlich schnell ein, und dann geht es sehr steil auf einem schmalen Pfad nach oben. Dass hier gebaut wird, haben wir schon von der Hütte aus gesehen: Eine riesige Mauer wurde hier errichtet, ein Baukran und ein Autokran waren zu sehen, und die permanenten Hubschrauberflüge sind uns auch nicht entgangen. Trotzdem: Es ist ein Wahnsinn, was die hier aufrüsten. Während die Braunschweiger Hütte recht einsam auf ihrem Felsvorsprung hoch über dem Pitztal sitzt, ist die Ötztaler Seite voll erschlossen, Straßen führen bis fast ganz nach oben, und für die Baumaschinen haben Pistenraupen eine breite Piste in den Gletscher gefräst. Ein Schlepplift führt über den Gletscher Richtung Gipfel, wo er eine Felswand im Tunnel durchquert; das scheint jedoch nicht zu reichen, direkt daneben wird ein neuer Sessellift gebaut. Die Talstation steht schon weitgehend, der Bagger arbeitet an einer Stützmauer, und ein Stück weiter unten wird ein Pfeiler betoniert. Unten, am Ende der Straße, steht ein Betonmischer, und ein Hubschrauber bringt eimerweise Beton im Akkord nach oben - der Pilot fliegt wie ein Wahnsinniger und braucht pro Runde nur zwei Minuten!
Über die in den Gletscher planierte Straße wandern wir nach unten; Angst vor Gletscherspalten brauchen wir keine zu haben, denn die sind alle plattgewalzt. Der Schnee ist nass, Schmelzwasser fließt den Weg entlang, um anschließend gluckernd in einem Loch zu versickern, und wir versuchen, trockene Füße zu bewahren. Unterwegs kommt uns noch eine Pistenraupe entgegen, dann sind wir beim Parkplatz, wo im Minutentakt der Hubschrauber vorbeidonnert. Dort treffen wir auch wieder auf den Weg über das Pitztaler Jöchl (über das der E5 eigentlich führt), aber dieser ist wegen Steinschlaggefahr gesperrt - gut, dass wir den anderen Weg genommen haben. Nach wenigen 100 m auf der Straße entdeckt Betty die Abzweigung unseres Weges, und wir laufen zum Talgrund hinunter, wo wir den Bach auf einer Brücke überqueren, und kurz dahinter auf ein paar großen Steinen am Bach eine Pause machen, unseren Füßen Erholung gönnen. Weit oben auf der anderen Talseite verläuft die Straße, wir laufen dagegen über Kuhweiden am Bach mit dem milchigen Gletscherwasser entlang Richtung Sölden. Hier unten, wo es schon flacher ist, hat es sich jemand mit dem Zelt gemütlich gemacht - in der Tat, einen schöneren Platz hätte er sich kaum aussuchen können.
Bei einem massiven Wildrost aus Eisenbahnschienen treffen wir wieder auf die Straße. Ein Bus mit dem Fahrtziel "Gletscher" donnert an uns vorbei, und wir sind froh, kurz darauf nach rechts auf einen Höhenweg abzweigen zu können, der uns von diesem Wahn der alpinen Kompletterschließung wegführt. Am Hang entlang geht es hoch über Sölden vorbei, unterhalb der Mittelstation der Bergbahn und über eine bretterharte Skipiste (im Sommer sieht man wunderschön, was für ein Aufwand hinter dem Wintersport steckt und was für Folgen er hat), dann können wir auf der gegenüber liegenden Seite in einem Seitental das Timmelsjoch erkennen. Da müssen wir drüber!
Aber erstmal macht uns das Wetter Sorgen. Der Himmel ist langsam zugezogen, es hat angefangen zu nieseln, und es wird immer mehr. Bei einer bewirteten Hütte überlegen wir uns, ob wir uns einen Cappuccino leisten sollen (es ist inzwischen Mittag), aber wir entschließen uns doch, weiter zu laufen. Ziemlich genau eine Almhütte weiter erwischt es uns, wir flüchten in einen baufälligen Bretterverschlag, und wettern den Schauer ab. Nach ein paar Müsli-Riegeln ist der Regen bis zu einem leichten Nieseln abgeklungen, und wir laufen weiter. Nach der lange angekündigten Gaislach-Alm kürzt der Weg die Serpentinen der Straße über einen steilen Hang ab, dessen langes Gras in der Nässe zu einer perfekten Rutschbahn geworden ist. Hinter den Häusern geht es wieder in den Wald, und dort auf groben Steinen steil nach unten. Direkt an der Straße im Tal verlassen wir den klammen Wald, wir laufen ein kleines Stück zurück Richtung Sölden, und erreichen Zwieselstein.
Es ist jetzt gerade einmal zwei Uhr nachmittags. Zweifellos, eine Pause muss sein, aber Basti will heute definitiv nicht mehr über das Timmelsjoch - dann bleiben wir eben hier. In diesem Ort gibt es eine Alpenvereinshütte; sie ist geöffnet, aber die Hüttenbetreuerin ist nicht da. Eine Liste hängt aus, in der man sich ein Zimmer reservieren kann - nur finden wir das noch freie Zimmer 1 nicht. Dann lassen wir eben unser Gepäck auf dem Gang stehen, und duschen uns schon mal. Um vier kommt dann die Hüttenbetreuerin, wir bekommen unseren Schlüssel (das Zimmer 1 ist in Wirklichkeit Zimmer 7...), und nehmen unser Zimmer in Beschlag.
Nachdem Basti und Betty einkaufen waren, gehen wir gemeinsam in eine Eisdiele - wir glauben, dass wir es uns verdient haben. Abends hocken wir dann zusammen mit den anderen Hüttengästen in der Stube und unterhalten uns; dabei lernen wir eine Frau aus Biberach mit ihrem kleinen Sohn kennen, die den Fernwanderweg schon mehrmals gelaufen sind. Übermorgen wollen sie bis zur Hirzer Hütte kommen, darum werden sie morgen den Bus zum Timmelsjoch nehmen.
Um halb acht stehen wir auf und frühstücken in der Stube. Die Hütte ist nicht bewirtet, aber es gibt eine Küche, in der man sich Geschirr ausleihen kann. Dann brechen wir auf; am Ausgang treffen wir noch die Hüttenbetreuerin (sie schaut nur gelegentlich vorbei), und dann laufen wir Richtung Ortsende, wo der E5 neben dem Bach beginnt und steil nach oben führt. Anfangs ist der Weg sehr breit und führt in bequemen Serpentinen nach oben, so dass wir schnell an Höhe gewinnen (und einen schönen Blick über Zwieselstein sowie die Söldener Skigebiete gegenüber haben), ruckzuck sind wir auf gleicher Höhe wie die Straße auf der anderen Talseite, die allerdings für ihren Aufstieg von Obergurgl aus Anlauf genommen hat. Das Wetter verspricht heute gut zu werden, große Wolkenlücken sind zu sehen, und auch die Temperatur ist angenehm; hier auf der Schattenseite des Tals vielleicht etwas frisch, aber bei einem so schweißtreibenden Aufstieg ist das richtig angenehm.
Unser Weg verschmälert sich nun zu einem Pfad, der unter Bäumen in das Timmelstal führt und nur gelegentlich den Blick nach unten freigibt. Dann steigen wir in Serpentinen weiter auf, lassen die Baumgrenze hinter uns, und zweigen ab in das Tal, das zum Timmelsjoch hinführt. Inzwischen haben wir späten Vormittag, die Sonne hat ihre volle Kraft entfaltet, und wir laufen im ziemlich kahlgeräumten Tal neben der Straße entlang. Zweimal überquert der E5 diese, und schwingt sich dann auf dem linken Hang in direkter Richtung zur Passhöhe hinauf. Während Basti sich einen Müsliriegel reinzieht und damit instantan die Aufmerksamkeit der Ziegen am Straßenrand auf sich zieht, starten Michael und Christoph schonmal mit dem Aufstieg. Der steinige Pfand geht schräg den Hang entlang nach oben und lässt uns manchmal neidisch auf die Autos weiter unten schauen, die scheinbar spielerisch nach oben rollen. Aber unser Weg ist auch deutlich steiler. So sind wir richtig froh, als wir endlich die Passhöhe erreichen und die Anstrengung vorerst vorbei ist, jetzt braucht es einen Snack. Nachdem wir so verschwitzt sind, ist der Wind hier oben fast etwas kalt, denn der Aufstieg war praktisch windstill, die Sonne konnte direkt auf uns herunterbraten (zum Glück ist die Luft hier oben nicht so stickig - wie es wohl in Bozen, rund 2000 m tiefer, ist?). Während der Wartezeit auf Basti und Betty, die erst 20 min später eintreffen, hat Michael beim Betrachten der Wolken die Idee, das auf einer Zeitraffer-Aufnahme festzuhalten. Mit wenigen Handgriffen ist das selbstgebaute Steuerungsgerät mit der Digitalkamera verkabelt und macht alle 10 Sekunden ein Bild. Leider bemerken wir zu spät, dass die Akkus wohl schon etwas schwach waren... darum ist die fertige Animation etwas kurz.
Gegen halb eins brechen wir wieder auf; der Abstieg auf der anderen Seite erfolgt getrennt vom Autoverkehr, weil die Straße nicht weit hinter der Passhöhe in das Nachbartal wechselt. Ziemlich steil und felsig beginnt der Weg nach unten, der an einem stark verfallenen Haus vorbei Richtung Talgrund immer flacher wird (seltsam, verfallene Häuser gibt es an der italienischen Grenze öfters, z.B. auch am Plöckenpass). Kühe liegen faul im Gras herum - gute Idee, denken wir, und machen ebenfalls eine Pause. Am Ende des Tals treffen wir wieder auf die Autostraße; auf ihrer Brücke überqueren wir die Passa, die tief eingeschnitten rauschend und gurgelnd nach unten stürzt, und zahlreiche Gumpen und Löcher in den Fels geschliffen hat. Ein paar hundert Meter weiter hinten, wo sich das Tal öffnet, verlassen wir die Straße und steigen an einem Bauernhof vorbei nach unten ab. Dort fällt uns ein Denkmal auf, das an einen Mann aus dem Passeiertal erinnert, der mit seinen Tiroler Schützen in Lauenburg/Elbe gegen Napoleon gekämpft hat. Dort kommen zwei Frauen mit Hund vorbei, gemeinsam laufen wir weiter, und der Weg führt uns durch ein Tor auf einen Bauernhof. Sofort nähert sich uns das Pferd, und schnell wird klar, dass das Tier es auf den Hund der beiden Frauen abgesehen hat. Sie weichen ihm aus, aber das Pferd wird immer aggressiver, schließlich müssen sie die Leine loslassen. Wir sind vollkommen irritiert, aber geistesgegenwärtig nimmt sich die eine Frau einen von Bastis Teleskopstöcken und vertreibt damit das Pferd (das möglicherweise sein Fohlen schützen wollte). Glück gehabt!
Über einen Waldweg geht es weiter bergab, und nach wenigen Kilometern sind wir in Rabenstein - ein Dorf wie aus der Modelleisenbahnanlage, mit der Kirche auf einem Hügel in der Mitte. An allen Ecken und Enden sind Rasensprenger aktiv, entsprechend ist das Gras saftig-grün, wie Samt. Die Passa fließt hier schon wieder ein ganzes Stück tiefer, wir überqueren sie auf der Straßenbrücke, und folgen der Straße anschließend ein Stück den Fluss entlang. Auf einem Kiesweg geht es weiter Richtung Moos, über die gesamte Strecke ist die Passa von Betonverbauungen zerstückelt, links und rechts ist das Flusstal von großen Murenkegeln gezeichnet.
Endlich erreichen wir Moos - dieser lange Marsch bergab auf Kies war reichlich anstrengend. Die Füße brennen, und eigentlich will keiner von uns weiterlaufen. Betty erkundigt sich nach der Übernachtungssituation: Es gibt nur zwei Hotels im Ort, und nur in einem ist noch ein Zimmer frei. Da haben wir wohl keine andere Wahl, und schlagen zu (20 € p. Pers. Ü/F) - die anderen beiden jungen Männer, die heute ebenfalls diese Etappe gelaufen sind, haben leider Pech gehabt und müssen mit dem Bus in einen der nächsten Orte fahren, um dort ihr Glück zu versuchen. Wir können dagegen unser Zimmer beziehen, und duschen uns erstmal; weil das Bad unsinnigerweise keinerlei Lüftung hat, herrscht dort bald eine Luft zum Schneiden. Ja, hier sehen wir, was so eine Alpenvereinshütte für Vorteile bietet: sie ist billiger, als Alpenvereinsmitglied hat man eine Übernachtungsgarantie, die Landschaft ist spektakulärer, der Blick schöner (hier im Tal liegt schon alles im Schatten, während ein paar Berge im Süden noch in der Sonne sind), und es ist ruhiger - hier führt die Straße direkt vor der Pension vorbei, und PS-starke Boliden der Dorfjugend sowie diverse Gefährte mit Zweitaktmotor sorgen für den entsprechenden Lärmpegel. Naja, egal. Dafür haben wir hier einen Balkon, wo wir unser Abendessen futtern.
Wir haben uns den Wecker gestellt, weil wir heute mit dem Bus fahren wollen. Der Weg durch das Tal ist laut Michaels Einschätzung nicht so spannend, und wenn wir bis zur Hirzerhütte wollen, ist so eine Bus-Etappe ganz sinnvoll. Um 7:30 gibt es Frühstück (erstaunlich, was für Mengen Abfall jeder produziert, wegen der ganzen winzigen Butter- und Marmeladenpackungen!), dann packen wir unser Zeug, und nehmen den Bus um 8:40. Überall am Straßenrand stehen Milchkannen zur Abholung bereit, und auch hier sieht man immer wieder Rasensprenger - Wasser muss wirklich im Überfluss vorhanden sein. Bei St. Leonhard biegt der Bus von der Hauptstraße ab, um noch die Bushaltestelle im Ort mitzunehmen. Dort sehen wir auch die Frau aus Biberach mit ihrem Sohn wieder, die wir vorgestern abend in der Hütte kennen gelernt hatten, aber sie nehmen wohl einen anderen Bus. Kurz darauf sind wir in St. Martin, wo wir erstmal einen Supermarkt für ein paar kleine Einkäufe suchen, und dann geht es an den Aufstieg. Michael und Christoph laufen voraus und übersehen dabei die Abzweigung des Fußwegs; wir wollen uns eine Serpentine weiter oben treffen, leider tarnt sich der Weg zu gut, so dass wir uns erst eine weitere Serpentine weiter oben zusammenfinden. Während der Wartezeit kommen zuerst die beiden jungen Männer vorbei, denen wir gestern das Hotelzimmer weggeschnappt haben (sie haben hier in St. Martin übernachtet, für 30 € p. Pers. Ü/F), und dann die Frau aus Biberach mit Sohn. Sie sind gestern mit dem Bus aufs Timmelsjoch gefahren, und dafür bis St. Leonhard gelaufen, was reichlich anstrengend gewesen sein muss.
Ab jetzt verlassen wir die Straße und laufen direkt durch den Wald nach oben, was an manchen steilen Stücken schon ziemlich anstrengend ist. Dafür erreichen wir unser erstes Etappenziel, die Pfandler-Alm, schneller als erwartet. Die beiden jungen Männer, denen wir hier wieder begegnen, fragen uns, wann wir denn heute früh aufgebrochen seien, um jetzt bereits hier zu sein; aber wir geben zu, ebenfalls den Bus benutzt zu haben. Sie werden heute hier bleiben, weil sie den E5 schon seit Oberstdorf gehen und entsprechend lange unterwegs sind; die heutige Etappe wird bei ihnen deshalb etwas kürzer. Wir laufen dagegen weiter; der Weg führt immer noch steil nach oben, aber leider nicht mehr ausschließlich durch den Wald, sondern auch über größere Lichtungen, und weil es bereits später Vormittag ist, greift die Sonne da richtig an. Eigentlich ist es nicht die Anstrengung alleine, die unsere Geschwindigkeit bremst, sondern vor allem die Hitze. Wir schwitzen wie verrückt, der Schweiß tropft von der Stirn, und schauen andauernd in die Karte, um herauszufinden, wie weit es noch ist. Denn die Steigung sollte hier irgendwo bald aufhören, und von dort aus geht es praktisch eben dahin. Der Weg geht ein bisschen in ein Seitental hinein, und dann in endlos vielen steilen Serpentinen einen Steilhang nach oben. Wir müssen immer wieder anhalten, um uns abzukühlen, denn der Hang liegt in der Sonne; es kommt uns wie ewig vor, dann sind wir schließlich oben, und machen erstmal eine Pause. Leider gibt es hier auch keinen Schatten, wir sind etwas über der Baumgrenze, aber zumindest streicht hier ein kühlender Wind entlang.
Nachdem diverse Cornys vernichtet sind und Christoph es geschafft hat, sein linkes Knie auszukugeln (das dann deutlich hörbar wieder in seine normale Position zurückrutscht), geht es weiter, und zwar jetzt fast ohne Höhenunterschied immer parallel zum Hang. Der Weg ist miserabel ausgebaut, aber das liegt daran, dass der frühere Weg wegen einer Mure o.ä. zerstört ist und erst wieder hergerichtet werden muss. Und so steigen wir über diverse Felsen und lockeres Material, bis wir zur nächsten Alm kommen und unsere Wasservorräte auffüllen können. Durch ein paar Weidezauntore geht es dann auf einen Fahrweg, und irgendwann erreichen wir schließlich die Hirzerhütte, die auf einem Plateau direkt unterhalb des gleichnamigen Berges liegt. Ganz in der Nähe befindet sich eine Seilbahnstation, darum ist die Hütte randvoll mit Tagesgästen, aber für uns Wanderer ist auch ein Matratzenlager im Angebot. Erst einmal hinsetzen und ausruhen.
Als wir alle komplett sind, setzen wir uns an einen Tisch und ziehen uns Eis bzw. Apfelstrudel rein, anschließend machen wir es uns auf den gemütlichen Liegestühlen bequem, die dort herumstehen. Hier an diesem Nebengebäude hat man seine Ruhe, hier toben nur ein paar Karnickel herum und die Wolken ziehen brodelnd über den Berg (was uns dazu animiert, den Fotoapparat für die zweite Langzeitaufnahme aufzubauen, bei der Materialseilbahn findet sich ein geeigneter Platz) - ganz im Gegensatz zur Hütte. Dort tobt eine Geburtstagsfeier, und die Protagonisten saufen und grölen, zeigen sogar ihren nackten Hintern. Später im Matratzenlager denken wir uns gemeinsam mit den anderen Übernachtungsgästen Strategien aus, um diese Trunkenbolde zu vertreiben, sollten sie denn hier übernachten wollen, aber zum Glück verschwinden sie irgendwann. Wir beobachten noch den Sonnenuntergang, und sitzen dann noch mit den anderen Wanderern zum Ratschen draußen vor der Hütte.
Der Hirzer ragt bedrohlich direkt hinter der Hütte nach oben, der Aufstieg verspricht anstrengend zu werden, und darum wollen wir früh starten. Nach einem kurzen Frühstück in der Hütte brechen wir um 7:45 auf, und laufen zuerst über Kuhweiden und dann immer steiler in Serpentinen über einen großen Schuttkegel nach oben. Der gesamte Weg liegt noch im Schatten, es ist kühl, aber die Anstrengung wärmt genug. Etwa in der Mitte des Weges kommt uns eine Gruppe Italiener entgegen - wie früh müssen die eigentlich von der anderen Seite gestartet sein? Am Ende des Schuttkegels ragt ein steiler Grat nach oben, und man muss sich durch die senkrecht stehenden Felsen hocharbeiten. Dafür ist es jetzt nicht mehr weit, schnell sind wir oben am Grat, und haben eine wunderschöne Sicht auf die Umgebung. Die Hütte unten liegt jetzt bereits in der Sonne - gut, dass wir so früh losgegangen sind, ein Aufstieg in der Sonne hätte wirklich nicht sein müssen. Die anderen Leute sind kurz nach uns gestartet, aber wohl etwas langsamer unterwegs, zumindest liegen sie sehr weit zurück. Der E5 geht auf der anderen Seite des Grates wieder nach unten, aber den Gipfel wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen, und steigen schnell das letzte Stückchen auf - nur Betty bleibt unten. Von hier oben hat man einen schönen Rundblick, was Michael zu einer Panorama-Fotografie (Erstellung) veranlasst, und uns zu Spielereien mit Karte und Peilkompass herausfordert. In der Ferne sieht man den Brenner, südlich davon hinter dem Eisacktal den Langkofel und die anderen Gipfel der Dolomiten; weiter vorne ist das Sarntal, im Süden liegt Meran, und auf der anderen Seite des Passeiertals die Texel- und die Ortlergruppe. Nur die Orte Moos, St. Leonhard und St. Martin machen sich tief im Tal unsichtbar.
Der Abstieg ist quasi symmetrisch zum Aufstieg auf der anderen Seite. Zuerst ist es steil, dann wird es immer flacher, und schließlich ist man auf einer Kuhweide. Von dort an geht es wieder parallel zum Hang entlang, in Richtung zu einem Gebirgssattel im Südwesten. Irgendwann taucht plötzlich der in der Karte angekündigte See hinter ein paar Felsen auf, gut versteckt duckt er sich unterhalb der Felswand an den Berg. Hinten gibt es sogar ein kleines Stück Strand, und einige Leute sind anwesend. Das Wasser ist auch erstaunlich warm, wir schwimmen eine Runde, und machen dann einen kleinen Snack auf einem großen Felsblock am See, während wir einen Hund beobachten, der ausgelassen im Wasser herumtobt.
Dann geht es weiter, uns begegnet eine Gruppe von Schweizern, die flott unterwegs ist, und oben am Sattel beginnt das Skigebiet "Meran 2000". Das bedeutet: planierte Pisten, zahlreiche Lifte, von Muren zerfurchte Landschaft, zu viele Wege und Infrastruktur. Die Meraner Hütte liegt am Rand dieses Skigebiets, und hat eigentlich auch eher die Dimensionen eines Hotels, aber die Übernachtung im Lager ist billig (wir haben sogar das ganze Zimmer für uns allein). Auf der Terrasse gönnen wir uns Cappuccino/Kakao/Kuchen, dann wird es zu windig, und wir verziehen uns in unser Zimmer. Vom Balkon aus starten wir die dritte Langzeitaufnahme dieser Tour, und schlagen die Zeit mit den herumliegenden Illustrierten tot. Christoph repariert außerdem seine Armbanduhr - bereits gestern früh ist sie dank schwacher Batterie stehen geblieben (auf exakt 6:05:06 Uhr, beim Versuch, die Beleuchtung einzuschalten), jetzt lädt er die Batterie nach Michaels Anleitung und mit Hilfe von Drähten aus Tütenverschlüssen auf. Dann ist es dunkel; wir räumen den Fotoapparat auf, und draußen macht sich der beißende Geruch des Feuers breit, in dem der Müll verbrannt wird.
Um nicht zu spät in Bozen zu sein, wollen wir früh aufbrechen. Wir stellen uns den Wecker auf 6:30, aber der Blick aus dem Fenster zeigt dichte Bewölkung und Nieselregen. Darum lassen wir uns mit dem Zusammenpacken etwas mehr Zeit, und verlassen die Hütte gegen 7:30. Zum Glück hat der Regen praktisch aufgehört, und der Himmel beginnt, sich aufzuklaren.
Der Weg führt an der Hütte vorbei aus dem Skigebiet heraus, und dann mit geringer Steigung auf die grasbewachsenen Hügel im Süden davon, wo sich das Gestein, das am Weg offen liegt, plötzlich von grau auf rot umfärbt. Noch ist das Gras feucht, aber die Temperatur ist angenehm, und im Osten ist die Sicht auf die Gebirgszacken der Dolomiten klar - nur im Westen ist es noch diesig, aber das wird der Ostwind wohl auch bald fortblasen.
Nachdem wir ein paar grasbewachsene Kuppen überquert haben, geht der Weg ein Stück abwärts und dann durch Fichtenwald bis zum Möllner Kaser. Dort wechselt der E5 von einem schmalen Pfad auf einen breiten Kiesweg und folgt ihm ein paar hundert Meter, bis er auf einer Kuhweide wieder nach links abzweigt. Wir sind inzwischen wieder ein Stück tiefer gekommen, und der Fichtenwald wurde abgelöst durch Lärchen, die locker verteilt auf den Kuhweiden stehen. Zwischen den Weidezäunen und durch diverse Tore und Gatter arbeiten wir uns durch diese offene Landschaft weiter nach Süden vor, und bald kommt die Kirche St. Jakob, die sich auf einem Nachbarhügel befindet, in Sicht. Irgendwann dann verlieren wir die E5-Schilder aus den Augen; wir treffen auf die ersten Häuser (mit prächtigem Blumenschmuck - ganz im Gegensatz zu den spartanischen Almhütten), irren durch etliche Abzweigungen und Einmündungen, behalten dabei aber immer die Kirche im Westen im Blickfeld und steuern darauf zu. Über einen geteerten Weg geht es steil nach unten, was unsere Beine wegen unseres schweren Gepäcks gar nicht mögen, aber dann treffen wir auf eine weitere Einmündung, wo wir wieder auf den E5 stoßen (der irgendwo von rechts aus dem Gebüsch kommt).
Bis zur Kirche in Langfenn gibt es wieder einen Anstieg, und dann gönnen wir uns eine Pause. Ab dann geht es über endlose Kieswege zwischen den Holzzäunen der Kuhweiden dahin; das Gestein hat seinen Farbton inzwischen zu einem sauberen Hellgrau geändert, was zusammen mit dem lockeren Baumbestand und den dunklen Holzzäunen der Landschaft ein sehr aufgeräumtes und parkähnliches Bild gibt. Am Restaurant Edelweiß scheinen wir endgültig die Zivilisation wieder erreicht zu haben - die Autokennzeichen verraten, dass hier halb Deutschland versammelt ist -, aber dann biegt der E5 wieder in einen sandigen Hohlweg ab, der durch einen Kiefernwald kontinuierlich nach unten führt. Zeitweise begleitet uns ein Hund, und nachdem wir bereits die ganze Zeit Hufeisenspuren zwischen den Kiefernzapfen am Boden gesehen haben, taucht dann auch der zugehörige Reiter auf. Der etwas sparsam ausgeschilderte Weg verzweigt sich immer wieder, das Gefälle scheint nicht zu enden (vorher, bis zum Restaurant war es viel flacher), dann ist der Wald plötzlich zu Ende, und wir stehen am Ortsrand von Jenesien.
Jetzt wird es Zeit, die Heimfahrt zu planen. Es ist 12:30, wir setzen uns gegenüber der Bushaltestelle auf den Bordstein, und während wir auf die anderen warten, recherchiert Christoph per WAP schonmal die Zugverbindungen von Bozen nach München. Um 14:31 würde ein Zug gehen, aber dummerweise machen die Busse Mittagspause, der nächste geht erst um 14:25. Basti und Betty treffen kurz darauf ein, und wir wandern gemeinsam durch den Ort nach unten zur Seilbahnstation. Denn Seilbahnen fahren immer - dachten wir zumindest. Diese hier pflegt jedoch auch das Konzept der Siesta, und nimmt ihren Halbstundentakt erst um 14:30 wieder auf. Zu Fuß brauchen wir es gar nicht erst probieren, schneller als diese Verkehrsmittel wären wir auch nicht, aber müssten unseren müden Beinen einen langen steilen Abstieg zumuten. Ja, ein kühles Eis wäre da eine attraktive Alternative. Aber wo? Das eine Café hat Betriebsferien, das noble Restaurant im Zentrum wirkt auch nicht so anziehend, der Supermarkt öffnet erst wieder in einer guten Stunde, und "Joe's Schuppen" am oberen Ortsrand (zu dem wir uns wieder ein ganzes Stück bergauf schleppen müssen) öffnet erst um 17:00! So bleibt uns nichts anderes übrig, als an der Bushaltestelle gegenüber die verbleibenden 40 Minuten totzuschlagen.
Dann laden wir unsere Rucksäcke in die Laderäume vom Bus ein, kaufen Fahrkarten, und los geht's. Die Fahrerin schließt die Dachluken per Knopfdruck, und steuert den Bus über Serpentinen hinunter nach Bozen. Die Stadt wirkt von oben gesehen recht langweilig, mit vielen monotonen Wohnblöcken und einem kleinen Flughafen im Süden, aber nachdem wir über eine Kehrtunnel-Brücken-Kombination das Tal erreicht haben, sind wir bald in der Altstadt, die ziemlich nett aussieht. Am Bahnhof steigen wir aus, kaufen Fahrkarten (am Schalter, denn der italienische Automat kennt nur Inlandsverbindungen), und laufen dann wieder zurück ins Zentrum, um die Wartezeit in einem Eiscafé zu überbrücken. Bozen ist doch deutlich anders als der Teil von Südtirol, den wir in den letzten Tagen kennen gelernt haben; hier spricht man vor allem italienisch, hier gibt es prächtige Häuser, breite Straßen und Alleen, und der hektische Verkehr hat auch südländischen Charakter.
Nachdem am Bahnhof die quäkende Computerstimme unseren Zug mehrmals angekündigt hat, fährt er pünktlich ein, und wir finden ein Abteil mit freien Sitzplätzen. Mit gemütlichen ca. 100 km/h arbeitet sich der Zug nach Eisacktal nach oben, wobei die Strecke erstaunlicherweise fast ebenerdig verläuft. Die Autobahn dagegen verläuft praktisch komplett auf Betonrampen hoch über dem Tal. Nach einem halbstündigen Aufenthalt am Brenner rollt der Zug hinunter nach Österreich, und eine Weile später sind wir in Kufstein, wo wir aussteigen. Ab hier gilt nämlich unser Ferienticket - darum wollen wir die Strecke Richtung München nicht zweimal zahlen, erst recht nicht bei den horrenden Kurzstrecken-Preisen nach der letzten Tarifreform der deutschen Bahn. Eine halbe Stunde Aufenthalt haben wir hier; nach dem Aussteigen entdeckt Betty in einem Zugfenster wieder die Familie aus Biberach - obwohl sie von der Meraner Hütte aus nach Meran abgestiegen sind, sind sie in Bozen zufällig im selben Zug wie wir gelandet und saßen nur einige Abteile entfernt!
Während Basti und Betty am Bahnsteig bleiben, zieht Michael los, um seine Trinkflasche aufzufüllen; zusammen mit Christoph hängt er gleich noch einen Ausflug in die Stadt an. Man muss nur über die Innbrücke gehen, und schon steht man auf einem wunderschönen blumengeschmückten Marktplatz, der an diesem Sommerabend dicht bevölkert von Leuten in den verschiedenen Straßencafés und Restaurants ist. Richtig idyllisch ist das hier - vom Bahnhof aus würde man das gar nicht erwarten, und erst recht nicht, wenn man auf der Inntal-Autobahn vorbeirauscht; dann sieht man bestenfalls die Festung, die über die Lärmschutzwände ragt. Zurück am Bahnhof fährt gerade unser Zug ein; kurz darauf sind wir in Rosenheim, wo unser Umstieg von einem spektakulären Abendrot hinter den scherenschnittartig davor dekorierten Bahnanlagen begleitet wird; und dann sind wir auch schon bald zu Hause. Ja, diese Tour war wirklich nett - wir haben den wohl spektakulärsten Teil des E5 gesehen, sind durch sehr abwechslungsreiche Gebirgsformationen gekommen, und das Wetter hat auch mitgespielt. Fein!