Radtour durch die Toskana 2002

von Christoph Moder

04.10.2002: Schlaflos am Brenner (München – Florenz)

Florenz Domkuppel im Dunst Den ganzen Tag über suche ich mein Gepäck zusammen, und mache mein Fahrrad tourentauglich. Es hat wegen zwei gerissener Speichen einen ziemlichen Achter im Hinterrad, und alleine schon weil die Felge an den Bremsen schleift, muss etwas getan werden. Das Grundübel ist, dass in dem Mountainbike zu dünne Speichen verbaut wurden, aber da ich nur auf der Straße fahre, konnte ich damit leben, jedes Jahr eine Speiche zu erneuern. Aber seit einiger Zeit bekomme ich keine Speichen mehr, und muss deshalb in den sauren Apfel beißen und bei den kaputten Speichen auch die Nippel auswechseln – also die Luft rauslassen usw. Eigentlich hätte ich gleich das ganze Rad neu einspeichen lassen sollen, aber dazu fehlte die Zeit; für die Speiche auf der Ritzelseite baue ich eine flexible Notspeiche ein, weil ich keinen Ritzelabzieher habe und eine normale Speiche sich kaum reinwürgen lässt.

Abends auf dem Weg zum S-Bahnhof (nötig, weil es regnet) kommt die Quittung: ein lautes Krachen zeigt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Im Zug untersuche ich das Rad: die Notspeiche hat sich ausgehakt; sie war zu fest angezogen. Und als ich am Nippel herumdrehe, ertönt ein Zischen: der Reifen wird platt, die Speiche muss zu lang gewesen sein und Felgenband und Schlauch durchgepiekst haben. Obwohl ich die Notspeiche (eigentlich für 26 Zoll gedacht, also passend) schon vor dem Einbau um 5 mm gekürzt habe, knipse ich jetzt noch einmal so viel ab, flicke den Reifen, und bis zur Ankunft am Hauptbahnhof ist längst wieder alles repariert.

Das Fahrradabteil erweist sich als nicht gerade großzügig, und speziell ein Stellplatz ist kaum für ein vollwertiges Rad zu gebrauchen, weil Skiständer ihn halb blockieren. Zum Glück hat Basti sein Birdy, ein Faltrad, dabei, das dort reinpasst. Dann suchen wir unser Abteil, und kurze Zeit später rollt der Zug los durch die Nacht.

Flott geht es durch Oberbayern und das Inntal dahin, dann wird der Zug langsamer und erklimmt in vielen Kurven den Brenner, wo eine längere Pause ansteht – Lokwechsel, wegen der inkompatiblen Stromsysteme in Österreich und Italien. Inzwischen haben wir uns hingelegt (soweit das in diesen unbequemen Sitzen geht) und versuchen etwas zu schlafen. Nicht ganz einfach bei einem voll besetzten Abteil, wo man sich mit den Füßen in die Quere kommt. Kaum sind wir eingedöst, werden wir auch schon wieder aus unseren Träumen gerissen, als in Trento der italienische Schaffner zur zweiten Fahrkartenkontrolle anrückt. Und dann ist auch nicht mehr viel Zeit, bis es dämmert. Es geht dann durch eine eintönige Landschaft dahin, und dann sieht man an Stahlträgern und hört man am hohlen Rumpeln, dass wir einen Fluss überqueren. Das erste Mal, dass ich den Po bewusst überquere, und jetzt ist vor lauter Nebel nichts zu erkennen.

Hinter Bologna geht es dann ins Gebirge, durch viele Tunnel, und uns schwant schon Böses. Durch so eine Landschaft müssen wir radeln!

05.10.2002: Stirb langsam (Florenz – San Gimignano)

Ledermarkt bei San Lorenzo, Domkuppel Wir laden unser Zeug aus dem Zug (und beobachten dabei, wie ein kleiner Elektrowagen mit einer großen senkrechten rotierenden Bürste wie bei einer Autowaschanlage am Zug entlang fährt und ihn putzt – effektiv und simpel) und wollen dann gleich die Rückfahrt reservieren. Das ginge nur von Italien aus, hatte man uns in München gesagt. In der Haupthalle stehen endlos lange Schlangen vor den Schaltern, aber in einem Nebenraum, bei den internationalen Schaltern, ist fast nichts los. Der Beamte am Schalter spricht kaum Englisch (und ich kann kein Italienisch), aber ein Zettel (auf deutsch) sagt uns, dass man den Fahrradtransport überhaupt nicht reservieren kann. Ein deutsches Pärchen, die an einem anderen Schalter gefragt haben, sagen uns, dass man nur direkt vor der Abfahrt am Zug reservieren kann – man muss also rechtzeitig da sein.

Nachdem die Toiletten kostenpflichtig sind und der McDonalds, den Werbetafeln in 50 m ankündigen, nicht auffindbar ist, verzichten wir auf das Auffüllen unserer Flaschen und laufen los. Bereits vom Bahnhofsvorplatz sieht man die mächtige Kuppel des Doms und den Campanile im Dunst – die Stadt ist immer wieder beeindruckend. Zuerst geht es zur großen Markthalle, wo wir einen kurzen Blick auf das Hotel werfen, in dem wir vor fast genau fünf Jahren mit der Schule waren, und dann weiter an der Kirche San Lorenzo vorbei (und wieder zwischen den engen Ständen des Ledermarkts durch) zum Dom. Vor dem Dom zieht eine Demonstration durch, offensichtlich gegen die Irak-Politik der USA und ihres Präsidenten George W. Bush; genau an dieser Stelle haben wir vor fünf Jahren auch schon mal eine Demo erlebt, damals gegen die italienische Bildungspolitik.Friedensdemo vor dem Dom

Der Dom zusammen mit seiner gewaltigen Kuppel, dem Campanile und dem Baptisterium ist einfach beeindruckend. Riesig, mächtig, man kann ihn kaum komplett auf ein Foto bannen, und trotzdem elegant und einfach wunderschön. Weiter geht es, vorbei an den Zeichnern, die Karikaturen von Touristen zeichnen (damals haben wir unseren Lehrer karikieren lassen), und in einer Seitenstraße sieht man schon den Turm des Bargello (haben wir damals auch besucht) im Gegenlicht. Ein Schwenk nach rechts, und wir sind auf der Piazza della Signoria: der gewaltige, wehrhafte Palazzo Vecchio mit Michelangelo's David-Statue davor, daneben die Loggia dei Lanzi, und dazwischen in der Verlängerung die Uffizien wetteifern um Aufmerksamkeit. Weiter geht es Richtung Arno (langsam werden es unerträglich viele Reisegruppen, die jeweils einem Leithammel mit nach oben gehaltenem Schirm nachlaufen) und dann über den Ponte Vecchio mit seinen vielen Juweliersgeschäften auf die linke Arnoseite. Über einen leichten Umweg erreichen wir dann die Porta San Niccolò, von wo aus wir uns in Serpentinen zum Piazzale Michelangelo hocharbeiten. Zwar teilweise steil zum radeln, aber von hier aus hat man das typische Postkartenpanorama von Florenz: unten der Arno, dahinter die Stadt mit allen ihren Gebäuden und Türmen, und beherrscht von der alles überragenden Domkuppel. Leider ist es so diesig, dass man die Berge hinter der Stadt kaum erkennen kann, aber über uns ist blauer Himmel.

Campanile Mit etwas Glück finden wir die Straße, die uns von dort aus in gleicher Höhe aus Florenz hinausführt (statt einer Berg- und Talfahrt), und kurz vor Certosa halten wir an und kaufen Wasser. Die Tankstelle schräg gegenüber hat kein Luftdruckgerät, darum fahren wir weiter und halten an der nächsten an, die so ein Ding in einer etwas dämlichen Ausführung hat; Basti und ich tanken auf, und weiter geht's. Wäre unnötig gewesen, bis zur Stadtgrenze von Florenz kommen wir an fünf weiteren Tankstellen vorbei, alles innerhalb von rund einem Kilometer!

Anschließend geht es flott dahin im Flusstal, immer unterhalb der Schnellstraße Richtung Siena. Wir werden von ein paar Mädchen auf Rennrädern überholt, aber halten mit ihnen problemlos mit, sogar als dann die Steigung beginnt. Sie ist zwar nicht extrem steil, aber mit je rund 15 kg Gepäck ist es schon etwas exzessiv, mit den Rennradlerinnen mitzuhalten. Aber erst knapp vor dem Ort San Casciano oben auf dem Berg muss ich aufgeben: mein Hinterreifen ist platt. In wenigen Minuten ist er repariert (der Flicken hatte sich gelöst, ich habe einen neuen draufgemacht), wir nehmen den letzten Anstieg, und machen oben erstmal eine Pause.

Danach geht es in einer großen Kurve um den Ort herum bergab, und unten erwartet uns nur ein kurzes ebenes Stück. Weil ich nicht so viel Luft im Reifen hatte, bin ich etwas langsamer nach unten gefahren – mit Recht, denn der Reifen ist schon wieder platt. Wieder hat der Flicken nicht gehalten; statt eines ParkTool-Flickens (wird direkt wie ein Aufkleber befestigt, ohne Vulkanisationsflüssigkeit) nehme ich jetzt einen konventionellen Flicken, und zwar einen großen. Ich will endlich Ruhe haben. Nach der kleinen Verschnaufpause geht es gleich wieder auf einer recht heftigen Steigung nach Fornacette hinauf; Basti gibt auf und schiebt, denn erstens fehlt ihm im unteren Übersetzungsbereich ein Gang, und mit seinen kleinen 18-Zoll-Rädern ist das Bergfahren mangels Schwung auch recht exzessiv. Natürlich ist der Ort wieder auf dem allerhöchsten Punkt der Hügelkette, und dahinter geht es wieder so steil nach unten (17%), dass man den Schwung gar nicht nutzen kann, sondern dauernd bremsen muss. Kaum sind wir unten, geht es schon wieder an den nächsten Berg: und gleich wieder mit 17% Steigung hoch, die Straße geht natürlich wieder durch das Dorf an der höchsten Stelle. Basti und ich tauschen kurz Fahrräder, aber das ändert an der Unbarmherzigkeit der Steigung auch nichts. Lucardo verdient nur noch unsere Verachtung!

Ponte Vecchio über den Arno Dann haben wir es anscheinend geschafft: hinter dem Ort geht nur noch eine einzige Serpentine nach unten (die auf der steilen Innenseite schon massiv zerkratzt ist, offenbar sitzen hier öfters Fahrzeuge auf), danach ist das Gefälle flach, so dass wir über einige Kilometer hinweg mit über 40 km/h dahinrollen können. Vorbei an der Landschaft mit ihren teilweise tief umgepflügten Feldern, die wie Mondlandschaften aussehen, die Umgebung interessiert nicht, wir sind im Geschwindigkeitsrausch, wir haben ihn uns wirklich verdient!

In Certaldo angekommen, fahren wir erst einmal ins Zentrum. Die obere Stadt liegt auf einem Felsen etliche Meter über der Umgebung; wir wollen kurz mal raufschauen, aber drehen bei der Mördersteigung schon bald wieder um und setzen uns stattdessen in ein Café in der Fußgängerzone, von wo aus man die Standseilbahn sehen kann, die nach oben führt. Wir genießen einen Cappuccino, bestellen uns dann noch Sandwiches (mit Tiroler Schinken, das hat es jetzt gebraucht), und ruhen uns noch etwas aus. Vor der Abfahrt werden noch die Flaschen gefüllt, und dann geht es weiter: an der Bahn entlang über den ersten Radweg, den wir in Italien sehen (aber er ist nur kurz), dann über einen Bahnübergang (als Warnzeichen haben sie rotierende Warnkreuze, die ein bisschen wie Windräder aussehen) und den Fluss Elsa, und dann geht es schon wieder bergauf. Aber diesmal angenehm flach; Basti fährt jetzt voraus, es geht zügig dahin, und wir schrauben und langsam immer höher. Kurz vor Ende startet Michael einen Ausreißversuch, und ich hänge mich dran; wir fliegen mit 30 km/h dahin, die Steigung muss wirklich flach sein.

Dann sind wir in San Gimignano, dem mittelalterliche Manhattan. Seine Geschlechtertürme machten den Ort berühmt, und sind auch schon aus etlichen Kilometern Entfernung zu sehen. 72 Stück dieser Türme gab es einmal, heute sind nur noch 15 erhalten, aber das reicht immer noch, um atemberaubend zu wirken – so ist die Stadt heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Wir fahren außen um die Stadt herum, und entschließen uns dann, sie gleich zu besichtigen – es ist schon spät, die Zelte werden wir eh im Dunklen aufbauen müssen. Wir sitzen auf den Stufen der Kirche, langsam bricht die Dämmerung herein, die ersten Lichter gehen an, und dann schauen wir uns auf den beiden Hauptplätzen im Süden der Stadt um. Als wir auf der Piazza della Cisterna den Brunnen (tief!) anschauen, werden zwei deutsche Touristen auf uns aufmerksam. Ja, wir kommen aus München, und sind Studenten – das gefällt ihnen offensichtlich so gut, dass sie uns mit 10 € sponsern.

Geschlechtertürme San Gimignano Inzwischen ist es fast dunkel geworden, und wir machen uns auf den Weg zum Campingplatz. Er liegt rund 2 km südlich der Stadt, und hat eine unfreundliche Überraschung: man muss nicht nur pro Person, sondern auch pro Zelt bezahlen. Eine teure Sache, bei unseren Einmannzelten. Andere rücken vielleicht mit ihrem Riesen-Wohnmobil an, in dem sechs Leute Platz finden, und zahlen für dieses Gefährt auch kaum mehr als wir für ein Zelt. Aber wir haben keine Alternative: um einen geeigneten Platz zum wilden Campen zu finden, sollte man nicht erst in der Dunkelheit suchen. Außerdem wird uns zumindest die Gebühr für ein Zelt erlassen. Wir suchen uns einen Platz (die Heringe gehen leichter in den Boden als gedacht, wir hätten uns die lange Platzsuche sparen können), bauen auf, duschen uns, und machen uns dann fertig, um nochmal in die Stadt zu gehen. Wir haben Hunger! Kein Wunder nach diesen vielen Bergen heute. Zu Fuß und mit Stirnlampen bewaffnet laufen wir los (von dieser Beleuchtung sind die Autofahrer sichtlich irritiert und bremsen ab, was nicht schlecht ist, weil es keinen Gehsteig gibt). In der Stadt gibt es leider keine Pizzeria, sondern nur teure Nobelgaststätten – nichts für unseren Geldbeutel; irgendwann finden wir ein Lokal, wo Sandwiches verkauft werden, wir ziehen uns je zwei, dann noch ein Eis eine Ecke weiter, und machen uns auf den Rückweg.

06.10.2002: Christophs Biathlon (San Gimignano – Siena)

San Gimignano von fern Morgens stelle ich fest, dass mein Rad schon wieder extrem wenig Luft hat. Und als ich aufpumpe, ertönt wieder dieses verhasste Zischen – schon wieder ein Loch. Und wieder an der gleichen Stelle, selbst der große Flicken hat nicht gehalten. Über die Stelle, wo er sich gelöst hat, flicke ich einen weiteren drüber, und wir brechen auf. Zwischenstopp bei der Bar (dekoriert mit unzähligen Aufklebern aus den letzten 20 Jahren und den verschiedensten Ländern: vom „Firngleiterclub“ bis zu „Atomkraft nein danke“ und „Volkszählung nein“): sollen wir uns einen Cappuccino kaufen? Nein, weiter in die Stadt. Der Supermarkt, den wir gestern entdeckt haben, hat geschlossen – es ist Sonntag, und offenbar heißt „tutti i giorni“ noch lange nicht, dass damit auch Sonntag gemeint ist.

In einem winzigen Laden in der Stadt ziehen wir uns Sandwiches, Getränke usw. und futtern gleich los, bis wir von dem Tisch (der zur Bar nebenan gehört) vertrieben werden. Auf den Treppen des Doms essen wir fertig – und schon wieder ist bei meinem Fahrrad die Luft raus. Verdammt! In den engen Gassen stauen sich die Touristen, daher laufen wir bis vor das Stadttor, um dort in Ruhe zu flicken. Diesmal probiere ich es mit einem Stück Gewebeband, wenn die Flicken nicht halten. So etwas gab es noch nie! Ich habe schon sehr viele Fahrräder geflickt, aber dass ein Flicken nicht hält (und vor allem an einer derart unproblematischen Stelle), habe ich noch nie erlebt. Langsam artet dieser Urlaub für mich zu einem Biathlon aus: abwechselnd treten und pumpen.

Campingplatz Siena Zum Glück hat Basti etwas von einem Fahrradverleih gesehen. Der hat geschlossen; und auf der anderen Seite des Hauses schickt uns ein Italiener (der kein Wort englisch versteht) wieder zurück – offenbar wohnt der Besitzer nicht dort. Ich will schon die Handy-Nummern, die an der Tür stehen, durchtelefonieren – da kommt ein Auto, und der Fahrer ist der Geschäftsbetreiber. Nein, verleihen tue er nicht, aber Schlauch, ja, so einen habe er schon. Perfekt, dafür kriegt er noch ein Trinkgeld! Der Schlauch ist zwar etwas zu dünn und hat ein seltsames Ventil, aber damit kann ich leben.

Jetzt ist es schon fast Mittag, unser Zeitplan ist Makulatur, aber endlich geht es los, und zwar bergab. Bei Bibbiano kommt zwar wieder eine Steigung, aber jetzt schreckt uns nichts mehr – solange es nicht mehr so brutal steil wie gestern ist, haben wir kein Problem. Relativ eben geht es bis Colle di Val d'Elsa, wo ein wuchtiges steinernes (und schon etwas verfallenes) Tor den Eingang zur Stadt markiert. Nach einem kurzen Stopp fahren wir weiter, außen herum und bergab, dann im Zentrum über zwei Kreisverkehre, und sind schon wieder draußen. Dort, an einer geschlossenen Tankstelle, muss ich wieder stoppen und den Reifen flicken; aber jetzt wird gleich der Ersatzschlauch eingesetzt, womit die Probleme ein für alle mal gelöst sind. Erstaunlich, dass das Gewebeband genauso lang gehalten hat wie die Flicken vorher.

Langsam nimmt die Bewölkung zu, was eigentlich ganz angenehm ist, und wir nähern uns Siena. Die nur noch leichten Steigungen sind kein Problem mehr, und am späten Nachmittag erreichen wir unser Tagesziel. Zuerst ziehen wir uns beim McDonald's Pommes, und fahren dann weiter zum Campingplatz, der laut Karte hinter dem Bahnhof liegt. Der Weg dorthin wirkt lang und umständlich, aber nur deshalb, weil die Abkürzung eine Einbahnstraße in Gegenrichtung wäre. Vorbei an dem hässlichen Gebäude der Poliklinik ein paar Straßen weiter (ein unübersehbarer Klotz) erreichen wir den Camping, der recht nobel wirkt und dank Gebührenfreiheit für Zelte sogar noch billiger ist als der letzte. Zelte aufgebaut, und los geht es zur Stadtbesichtigung. Unten am Bahnhof ist die Brücke über die Gleise leider abgerissen, und wir haben keine Lust auf einen Umweg. Aber zwischen den Gleisen ist ein geteerter Weg, über den wir zum Bahnhof kommen, und von dort auf die andere Seite.

Il Campo, SienaSiena ist angeblich eine von der Gotik geprägte Stadt, was eine Besonderheit in der Toskana, dem Inbegriff der Renaissance, ist. Was hat man sich da zu erwarten? Die Gotik strebt nach oben, mit ihren hohen Gewölben und Spitzbögen. Aber davon ist hier noch nichts zu sehen; das Einzige, das nach oben strebt, sind hässliche, hohe Wohnblocks – kann man das als Neogotik gelten lassen? Das Stadtzentrum liegt am Berg oben, und so arbeiten wir uns über zwei große Serpentinen zur mächtigen Stadtmauer hoch. Leider wissen wir nicht genau, wo wir sind, der Stadtplan im Reiseführer deckt nur die innersten Bezirke ab. Wir kommen zu einem Stadttor (daneben ein überdimensionaler Igel, das Wappentier von Siena), und laufen dann die folgende Straße (mit aufwändigen Straßenlampen) entlang. Es werden immer mehr Leute, und die Preise in den Geschäften steigen auch, je weiter wir kommen – zweifellos nähern wir uns dem Zentrum.

An der Piazza Salimbeni gibt es beeindruckende Palazzi zu sehen, die gleichzeitig Sitz von „Monte dei Paschi di Siena“, der ältesten Bank der Welt (seit 1472), sind. Dann ist die Straße zu Ende, aber man kann über eine Treppe und einen Torbogen nach unten gehen. Und dort ist er: der Campo! Ein halbkreisförmiger Platz, angeblich der schönste von Italien, der zum Kreismittelpunkt hin abfällt und von prächtigen Häusern umgeben ist – vor allem vom Palazzo Comunale, der mit seinem 88 m hohen Turm den Platz dominiert und den Betrachter in Staunen versetzt. Wir werfen nur einen Blick in den Innenhof und sparen uns die Turmbesteigung, weil sie recht teuer ist und wir noch vor Sonnenuntergang den Dom sehen wollen. Auf dem Weg dorthin schauen wir noch in den Innenhof der Accademia Chigiana (eine der berühmtesten Musikschulen Italiens).

der Dom Der Dom ist groß, zweifellos. Aber was die Bürger von Siena im 14. Jahrhundert vorhatten, sprengt alle Dimensionen: sie wollten einen neuen Dom bauen, so groß, dass der alte nur noch ein Querschiff davon ist. Die Giebelwand hatten sie bereits errichtet, als die Pest in die Stadt einfiel und die Bevölkerung auf ein Drittel dezimierte. So ist es leider nichts geworden mit diesen ambitionierten Plänen – aber der Giebel steht noch und gibt dem Betrachter eine leise Ahnung, wie gigantisch der neue Dom geworden wäre. Inzwischen geht die Sonne unter, ein Schimmer des Abendrots wird von der Domfassade reflektiert – es ist 19 Uhr, und der Dom wird für Besucher geschlossen. Da haben wir wirklich Pech gehabt; ich kann nur noch einen kleinen Blick nach drinnen werfen, und erspähe einen wirklich prächtigen Raum, mit schwarzweiß gestreiften Säulen... da muss ich irgendwann noch einmal rein!

Dann suchen wir uns eine Pizzeria mit gemäßigten Preisen (gar nicht so einfach) und werden beim Palazzo Piccolomini fündig (leider sind die Pizzen etwas hart, statt dem Messer wünscht man sich eine Taschenkettensäge, um den Boden zerteilen zu können); dann geht es nochmal zum Dom, und über eine große Treppe im Norden (die uns wieder einmal die Größe dieses Bauwerks vor Augen führt) wieder zum Campo. Palazzo Comunale Hier, an diesem Platz findet zweimal im Jahr ein Pferderennen statt (außen herum), bei dem sich die verschiedenen Stadtviertel messen – bei diesen Höhenunterschieden zwischen den verschiedenen Seiten des Platzes und dieser Kulisse muss das ein wirkliches Ereignis sein. Wir schauen uns noch den nachts beleuchteten Brunnen an, und machen uns dann auf den Heimweg. Irgendwo nach Osten wollen wir – leider endet meine Karte schon wieder ziemlich bald, und im Blindflug gelangen wir schließlich zur Porta Romana, und laufen von dort aus einem Schild zum Bahnhof nach. Dummerweise folgt die Straße dem Zickzack der Mauer, ist nicht sehr breit und hat auch keinen Bürgersteig, so dass wir immer den Autos ausweichen müssen. Offenbar war dieses Tor mehr im Süden als im Osten, und offenbar gibt es auf der Ostseite kaum Stadttore – wir haben es auf jeden Fall ganz geschickt gemacht und sind auf der Zickzackstraße einen riesigen Umweg gelaufen, durften dabei immer Autos ausweichen und haben alle Eisdielen geschickt umgangen. Das nächste Mal muss das anders sein.

07.10.2002: Manche mögen's heiß (Siena – Marina di Grosseto)

Bagni di Petriolo Zum Frühstück gehen wir in die Bar des Campingplatzes, ziehen uns dort Cappuccino (in einem doppelwandigen Plastikbecher, so dass man sich nicht die Finger verbrennt) und Sandwiches rein, und besprechen, was wir heute unternehmen wollen. Von Bergen haben wir vorerst genug; und interessante Ziele gibt es im Süden zwar viele, aber auch ziemlich verstreut und schlecht kombinierbar. Also legen wir Priorität auf das Vorwärtskommen, und beschließen, bis in die Gegend von Grosseto zu kommen. Nachdem die Zelte abgebaut und das Zeug eingepackt ist, geht es los, wieder durch die steile Einbahnstraße nach unten (mit einem lauten „Zonk!“ reißt eine Speiche, was aber nicht weiter stört), und zur Schnellstraße, auf die wir kreuzungsfrei auffahren. Hier kommt man zwar schnell voran, aber weil die Straße weder überall einen Seitenstreifen hat noch besonders breit ist, ist das Fahren nervlich sehr anstrengend – ist doch klar, wenn die Laster direkt an einem vorbeiziehen. Vier Tunnel liegen auch auf der Strecke, und weil diese besonders eng und schlecht beleuchtet sind, halten wir jeweils vorher an, schalten das Licht ein, und bringen sie dann jeweils so schnell wie möglich hinter uns. Als wir uns von der Stadt entfernen, wird es auch mit dem Verkehr besser, und wir können relativ entspannt Kilometer fressen. Es geht eben dahin, wir fahren im Windschatten, und irgendwann geht es eine lange, flache Steigung hinauf. Oben, an der Ausfahrt, verlassen wir die Schnellstraße – weil erstens drüben, auf der anderen Seite der Talbrücke, zwei längere Tunnel sind, die wir umgehen wollen, und zweitens hier in der Nähe heiße Quellen sind. Bagni di Petriolo liegt zwar laut Karte direkt neben der Schnellstraße, aber in Wirklichkeit viel tiefer, fast unter der Talbrücke – das müssen wir nachher alles wieder hoch. Der Ort besteht nur aus einer handvoll Häuser, und neben der Brücke über den Fluss ist die eigentliche Attraktion: aus mehreren Rohren kommt heißes, schwefliges Quellwasser aus dem Berg und fließt über mehrere Becken in den Fluss. Zahlreiche Leute haben es sich in den Becken bequem gemacht und genießen das heiße Wasser, und so sperren wir die Räder ab, ziehen uns Badehosen an und steigen hinein. Angenehm! Nicht dass uns kalt wäre, aber es tut einfach gut. Und der Schwefelgestank ist im Wasser auch weniger schlimm als befürchtet; zwischendurch geht es zur Abkühlung in den Fluss.

Bagni di Petriolo Nachdem wir uns noch etwas ausgeruht haben, geht es weiter. Gleich hinter der Brücke kommt der Mörderberg! Die Steigung ist wieder hart am Limit, und – was noch schlimmer ist – der Berg hört einfach nicht auf. Kurve um Kurve quälen wir uns nach oben, dann ist die Talbrücke unter uns in Sicht, aber ein Ende der Steigung immer noch nicht abzusehen. Schließlich sind wir weit über der Talbrücke, als eine Abzweigung kommt: aber nein, wir dürfen nicht runter, es geht noch weiter hoch. Erschwerend kommt hinzu, dass meine Trinkflaschen leer sind – unten im Ort konnte man sie nicht auffüllen; den anderen geht es auch kaum besser. Als wir oben sind, gibt es noch keinen Grund zu jubeln, denn die ersehnte Abfahrt ist noch kilometerweit entfernt. Wie auf einer Achterbahn geht es dahin, manchmal kann man die Steigungen mit etwas Schwung nehmen, aber ich bin am Ende. Irgendwann beginnen dann die Abfahrten zu überwiegen, und wir landen schließlich im Tal in Pagánico. Endlich wieder ein Ort! Basti hat Schmerzen am Knie und ruht sich aus, währenddessen erkunde ich, wo es einen Supermarkt gibt. Am Ende der Straße ist eine Bar – sie erscheint mir wie dem Wüstenwanderer eine Oase. Schnell kaufe ich drei eiskalte Flaschen Cola, und dann fahren wir gemeinsam nochmal dorthin, um uns richtig einzudecken. Einige Flaschen Wasser, Croissants und Kekse werden gekauft, dann machen wir es uns beim Park schräg gegenüber bequem und futtern. Langsam kehren die Kräfte zurück.

Nachdem wir uns gestärkt haben, geht es auf zur letzten Etappe. Auf der Schnellstraße geht es zügig nach Süden, wir fahren dicht hintereinander im Windschatten, und Michael legt vorne ein ordentliches Tempo vor. Steigungen gibt es praktisch keine mehr, und nachdem wir zwischen zwei flachen Hügeln durchgefahren sind, liegt die große Ebene vor uns, und wir nähern uns Grosseto. Eigentlich hatten wir geplant, dass wir die bedeutende etruskisch-römische Ausgrabungsstätte Roselle besichtigen, aber es ist schon spät, und wir lassen sie links liegen. Die Schnellstraße war schon nervenaufreibend genug; immer mit vollster Konzentration fahren, und dazu noch Nettigkeiten wie eine Baustelle, wo man sich zwischen Betonblöcken eingezwängt mit den Autos die enge Fahrbahn teilen muss, einen Fehler darf man sich hier einfach nicht erlauben. Daher verlassen wir die Schnellstraße rechtzeitig, bevor sie die Autobahn kreuzt und noch mehr Verkehr zu befürchten ist, und rollen auf einer kleineren Straße nach Grosseto hinein – diese hat aber diverse Schlaglöcher, so dass ich einen großzügigen Abstand zu Michael/Basti halte. Dann sind wir am Stadttor, und schieben die Räder durch die Innenstadt, vorbei am Dom, bis zum südlichen Ende. Es ist eine hübsche Stadt, umgeben von einer Stadtmauer, auf der man um das Zentrum herumlaufen kann. Gerade geht die Sonne unter, und wir haben leider keine Zeit zu Besichtigungen, sondern brauchen jetzt dringend etwas zu essen. An einer Pizzeria ziehen wir uns je zwei Stücke Pizza Margerita, und anschließend gibt's an der Eisdiele um die Ecke noch ein Eis.Basti am Berg

Inzwischen ist es komplett dunkel geworden; durch das südliche Stadttor verlassen wir Grosseto und folgen den Schildern zur Marina. Neben der Straße ist ein absolut königlicher Radweg; als wir am Militärflughafen vorbei kommen, starten gerade zwei Düsenjäger mit Nachbrenner, und auch wir fühlen uns wie auf einer Startbahn: ein reichlich breiter Weg, aus perfekt glattem Teer, und links und rechts gesäumt von Reflektoren, die in unserem Scheinwerferlicht hell aufleuchten. Nur die Beschilderung trübt das Bild: querende Sträßchen haben Vorfahrt (obwohl sie kaum breiter als der Radweg sind), und das Radweg-Ende ist in der Dunkelheit fast zu übersehen. Dafür sind wir jetzt sehr zügig von Grosseto nach Marina di Grosseto gekommen, und fahren erstmal geradeaus durch bis an den Strand, und dort auf einen Holzbohlenweg bis fast hinaus aufs Meer. Endlich angekommen! Eine wunderschöne Nacht, monoton rauscht die Brandung auf den Strand, und am sternklaren Himmel über uns leuchtet die Milchstraße. Wie lang ist es her, dass ich sie zum letzten Mal gesehen habe? Bei uns zu Hause ist sie kaum jemals auszumachen; vielleicht ist es zu dunstig, sicherlich gibt es zu viel Streulicht, einen solchen Himmel wie über dem Meer gibt es fast nie. Und fast auf den ersten Blick erkenne ich auch den „Teapot“, ein Sternzeichen, das mir ein Amerikaner einmal im Arches-Nationalpark gezeigt hat (wie eine Teekanne, ihren Inhalt in die Milchstraße gießt; es sind die Sterne des Sternzeichens „Schütze“)... seit damals habe ich dieses Sternzeichen nicht mehr gesehen. Wow!

Dom in Grosseto Jetzt brauchen wir noch einen Campingplatz. Duschen usw. haben wir uns wirklich verdient. Wir wollen am Meer campen, und die beiden südlichen Campingplätze liegen hinten im Wald, daher fahren wir zu den nördlichen Campingplätzen, auch wenn sie weiter weg sind. Wir radeln ein ganzes Stück durch den Ort, aber Campingplatz-Schilder sind keine zu sehen. Irgendwann reicht es uns, wir fahren rüber zum Meer, und sehen dort ein paar Wohnmobile herumstehen. Wenn die dort campen dürfen, dann sollte es für uns auch kein Problem sein. Die anderen Camper, natürlich auch Deutsche, identifizieren uns gleich als Münchner (anhand Bastis Radlhose mit Werbeaufdruck vom Sporthaus Bittl) und raten uns, nicht unter den Bäumen zu zelten, wegen der Mücken dort. Nachdem die Zelte etabliert sind, machen wir noch einen Spaziergang zum Strand; nicht weit entfernt ist eine Hütte mit Surfbrettern und zwei Katamaranen davor, und daneben stehen ein paar Liegestühle, und dort setzen wir uns hin und lassen den Abend ausklingen.

Strecke: 106 km

08.10.2002: Ein GAU kommt selten allein (Marina di Grosseto)

Heute lassen wir es ruhiger angehen, und machen erstmal einen kurzen Spaziergang am Strand – die gestrige Etappe hatte es doch in sich. Basti spürt immer noch seine entzündete Sehne, und setzt sich dann auf eine Bank an der Straße. Marina di Grosseto ist ein absoluter Retorten-Ort, mit rechtwinkligem Straßennetz und ohne richtigem Zentrum, der sich einige Kilometer entlang der Küste erstreckt. Manches ist noch im Bau – beispielsweise ist der Yachthafen noch nicht fertig. Breite schnurgerade Einfall- und Durchgangsstraßen (hinter dem Ort) führen zu den verschiedenen Ortsteilen, die innen herum wegen der vielen Einbahnstraßen nicht so schnell zu erreichen wären. Kurz gesagt: mit seinen Ferienappartments und den auf Tourismus ausgerichteten Strukturen ist diese Stadt sehr ähnlich zu manchen Orten am „Teutonengrill“ der Adria, z.B. Bibione. Jetzt, im Herbst, wirkt vieles ausgestorben: viele Restaurants haben geschlossen, kaum ein Mensch ist auf der Straße zu sehen. Basti sitzt mit seinem roten Fleece-Pulli auf der Bank, davor die leere Straße, dahinter ist eine sandige Brachfläche mit vielen Kletten, die in den leeren Strand übergeht, hinter dem das endlose Meer und der blaue Himmel liegen... das beschreibt die Stimmung wohl recht gut. Michael und ich trotten dann weiter Richtung „Zentrum“ und finden sogar recht bald einen Tante-Emma-Laden, wo wir uns ein paar Dinge zum Frühstück kaufen; Basti wartet beim Zelt auf uns.Basti und Michael auf der Bank

Tja, was machen wir heute? Die Maremma, ein Naturschutzgebiet im Süden, soll recht schön sein. Gegen Mittag brechen Michael und ich auf (inzwischen habe ich zwei gerissene Speichen im Hinterrad, die ich sicherheitshalber entferne), Basti bleibt zurück und ruht sich aus. Auf der Fahrt nach Südwesten haben wir mit Gegenwind zu kämpfen, der sich, da die Straße eine lange Linkskurve macht, zu einem kaum angenehmeren Seitenwind verändert. Nach rund 15 km sollte doch langsam die Abzweigung kommen, über den Fluss Ombrone in den Naturpark Maremma. Wir nehmen die nächste Abzweigung, die Straße wird immer schmäler und schlechter, schließlich verzweigt sie sich mehrfach und wir enden auf einem Feldweg, mit extrem tiefen Schlaglöchern. Wo sind wir hier? Der Karte nach vermuten wir, zu weit nördlich zu sein, und arbeiten uns an der Flussbiegung entlang bis zu einem Bauernhof mit Hundezucht vor. Dort sind wir vorhin auf der Straße schon mal vorbeigefahren! Aber diese Straße muss es sein. Leider auch nicht besonders gut; in der Karte nach kann man erkennen, dass dieser Weg genau in der Verlängerung der Autobahn liegt, und die Bezeichnung „Via Aurélia“ sagt alles: wir sind auf einer Römerstraße. Offensichtlich mit den zweitausend Jahre alten Originalsteinen, kurz gesagt Radfahrers Tod. Aber Römerstraßen haben immer ein Ziel! Diese aber nicht; kurz vor dem Fluss endet sie im Nichts. Keine Brücke!!! Wie sollen wir jetzt auf die andere Seite kommen? Ein Umweg kommt nicht in Frage, denn der wäre mindestens 15 km lang. Ein schwacher Trost ist, dass wir offensichtlich nicht die einzigen sind, die hier auf eine Durchfahrt gehofft haben – das eine Auto mit schweizer Kennzeichen sehen wir jetzt schon zum dritten Mal. Ich erkunde die Gegend: einige Meter weiter im Schilf liegt ein Boot, zwar mit Wasser halb vollgelaufen, aber groß und tragfähig. Offensichtlich gehört es dem Fischer, der hier über dem Fluss ein Netz aufgespannt hat, das er mit einer Konstruktion aus Flaschenzügen und einem Benzinmotor absenken und aufholen kann. Könnten wir nicht unsere Räder verladen und hinüberrudern? Aber Michael ist nicht begeistert; er hat außerdem einen Platten am Fahrrad. Die Römerstraße fordert ihre Opfer. Währenddessen teste ich das Boot: mit einem Brett als Paddel kommt man vorwärts, das Staken mit einem Ast scheitert dagegen, weil der Fluss zu tief ist. Wenn schon nicht mit den Fahrrädern, so will ich trotzdem einmal rüber, um zu schauen, wie es aussieht. Am Ast wird das Brett mit einem Stück Seil festgelascht, und ich betätige mich als Gondoliere – mit viel Geduld schaffe ich es trotz leichter Strömung, starkem Wind und halb versenktem Boot auf die andere Seite. Spannend ist es dort nicht: die Landschaft ist eben, und der Weg geht einige Kilometer schnurgerade dahin. Vielleicht wäre es bei den Hügeln dort interessant (das muss der eigentliche Naturpark sein), aber es ist einfach zu weit – vor allem angesichts der Wolkenberge, die sich schon die ganze Zeit hier auftürmen. Der Weg ist auch hier als Römerstraße ausgeführt, und hier sieht man, wie er bis hinunter zum Wasser führt – dort muss eine Furt gewesen sein.

Christoph auf dem BootMichael hat seinen Reifen geflickt, und wir machen uns auf den Rückweg. Aber sein Reifen ist nicht dicht; immer wieder muss er anhalten und pumpen. Dass wir auf dem letzten Stück Rückenwind haben, hilft auch nicht viel, weil wir deshalb vorher mit Seitenwind kämpfen müssen. Als wir die vielen kleinen Kanäle überqueren, sehen wir dort auch gelegentlich solche Fischernetzkonstruktionen wie vorhin bei der Furt. Bei so viel stehendem Wasser ist es kein Wunder, dass man Jahrhunderte gebraucht hat, um die Gegend von Malaria zu befreien.

Zurück im Ort finden wir unsere Zelte nicht sofort, weil alle Straßen so gleich aussehen. Dann, am Strand, setzen wir uns gemeinsam auf die Stufe vor einer Baracke, futtern dort im Windschatten eine Packung Kekse und schauen den Kitesurfern zu, die jetzt den frischen Wind ausnutzen. Weil für heute Nacht Regen zu befürchten ist, sichern wir dann unsere Zelte, indem wir Entwässerungsgräben ziehen. Wir wollen nicht im Schlamm versinken. Soweit der Regen – aber gegen den Wind, der hier durch den Durchgang von der Straße zum Strand pfeift, können wir nichts tun. War er gestern eher ablandig, so bläst er jetzt vom Strand kommend lauter Sand in unsere Zelte. Michael flickt außerdem noch seinen Reifen – er hatte vorhin nicht nur ein, sondern gleich zwei Löcher drin.

Heute brauchen wir wieder einmal ein ordentliches Abendessen, und suchen uns eine Pizzeria. Es gibt zwar ein paar Restaurants, aber die meisten haben geschlossen, und manche wirken etwas exklusiv. Aber wir finden eines, und speisen dort recht gut – bis darauf, dass die Kellner etwas lahm sind.

Strecke: ca. 30km

09.10.2002: Eine Insel mit zwei Bergen (Marina di Grosseto – Elba)

Castiglione della PescáiaIn der Nacht hat es zwar geregnet, aber nicht sehr viel. Beim Abbau sind unsere Zelte fast trocken – der Sand ist das größere Problem. Nachdem wir alles verstaut haben, verabschieden wir uns kurz von den anderen Campern und radeln Richtung Zentrum. Dort, am Supermarkt, ziehen wir uns ein Frühstück (eine Packung Schokocroissants) und füllen unsere Trinkflaschen auf. Dann geht es los Richtung Norden; die Straße ist sehr breit und führt schnurgerade durch einen Pinienwald, und hat auch einen Radweg – zwar nicht so breit und eben wie der nach Grosseto, gelegentlich ist der Teer von Baumwurzeln angehoben, aber ansonsten nicht schlecht. Hier unter den Bäumen ist der Boden noch feucht vom Regen; das macht aber nichts, es ist zwar leicht dampfig, aber nicht zu warm, und wegen Bastis Knie fahren wir mit mäßiger Geschwindigkeit.

Nach einer Weile sind wir vor Castiglione della Pescáia, wo Michael und Basti an der Tankstelle erst einmal Luft auffüllen. Über eine Brücke über den Fluss Bruna kommen wir in den Ort, der sich malerisch an einem Hang hochzieht. Die Straße macht einen Bogen, verläuft an einigen modernen Wohnblocks entlang (die Stockwerke sind von zwei Seiten treppenförmig aufeinander geschichtet, so dass sich die oberen Stockwerke berühren, und im Hohlraum in der Mitte steht die Treppe aus knallrotem Stahlrohr), und geht dann steil den Berg hoch. Kurz, aber knackig ist diese Steigung (ein älterer LKW hat Mühe, nach oben zu kommen). Dafür hat man einen schönen Blick über den Ort: vorne am Fluss ist ein Yachthafen, südlich vom Ort der ungefähr einen Kilometer breite Pinienwaldstreifen, der sich gute 10 Kilometer bis Marina di Grosseto erstreckt, und dahinter sind große Wasserflächen zu sehen. Wir sind auf gleicher Höhe mit dem Ortszentrum, das oben auf dem Felsen zwischen unserer Straße und dem Meer liegt, aber wir nehmen uns keine Zeit, es zu besichtigen, und fahren weiter. Es folgt sofort eine Abfahrt, die uns wieder hinunter auf Meeresniveau bringt (vermutlich hätte man diesen Berg auch umfahren können).

Fahrräder in der FähreDann geht es wieder schnurgerade dahin, und nach einer leichten Kurve beginnt die Straße kaum sichtbar zu steigen. Man merkt nur, dass man langsamer wird. Aber wir sind ruckzuck oben, und die Abfahrt ist ebenfalls lang und flach, wir rollen mit 40 km/h hinunter. Kurz darauf kommt noch ein Berg, der noch harmloser ist, und wir sind endgültig in der Ebene. Ein Wohnmobil überholt uns hupend: es sind die Leute aus Darmstadt, die in den letzten beiden Tagen neben uns gecampt haben! Kurz darauf sind wir auch schon in Follónica, wo wir uns nicht lange aufhalten und auch nicht nach einem Weg entlang der Küste suchen, sondern einfach den Wegweisern nach Piombino folgen. Über ein paar Kreisverkehre verlassen wir die Stadt, und landen dann fast auf der Autobahn – die Beschilderung erweist sich als trickreich, weil der ausgeschilderte Weg nach Piombino über die Autobahn geht. Wir müssen dagegen ein Stück geradeaus weiter, und dann erst bei der nächsten Autobahnauffahrt diese unterqueren, was ebenfalls nicht so leicht ist: die Auffahrt ist in einen großen Kreisverkehr integriert, und laut Vorwegweiser sollen wir bei der vorletzten Ausfahrt aus dem Kreisel rausfahren. Aber bei den Wegweisern im Kreisel ist es plötzlich der letzte, der nach Piombino weist -wir glauben ihm, und verfahren uns prompt; wir kommen zwar unter der Autobahn durch, stehen dann aber vor der Bahnlinie. Die Wegweiser waren falsch, der Vorwegweiser hatte recht. Also nochmal zurück und diesmal richtig.

Hafen von PiombinoDann geht es endlos lang schnurgerade dahin, auf einer schlechten Straße, die schon etwas heruntergekommen wirkt. Irgendwann kommt dann ein Schild, dass die Straße gesperrt sei und man einer Umleitung folgen solle. Aber darauf haben wir keine Lust, die Straße würde nämlich schnurgerade nach Piombino führen, eine Umleitung sicher ein paar Kilometer draufschlagen. Ein Stück weit, bis zum Kraftwerk, ist die Straße noch frei, dann müssen wir eine Straßensperre überwinden und anschließend zwischen großen Erdhaufen auf der Fahrbahn durchfahren. Schließlich endet die Straße komplett: es wird eine neue Brücke gebaut, offensichtlich wegen dem sumpfigen Gelände links und rechts. Die Pfeiler sind schon betoniert, aber dazwischen ist nur trockene Erde, und wir kommen schiebend weiter. Hinter der zweiten Straßensperre können wir wieder radeln, noch ein paar Kilometer, und wir nähern uns Piombino. Und seiner Industrie. Die Außenbezirke sind häßlich, staubig, grau, und es stinkt unangenehm. Wie in einem Ostblock-Industriegebiet. Schon erstaunlich, wie unterschiedlich benachbarte Orte sind: Piombino ist eine reine Industrie- und Hafenstadt, Castiglione della Pescáia ein hübsches Dorf, und Marina di Grosseto eine Touristenretortenstadt. Wir haben langsam keine Lust mehr, quälen uns noch über die letzten Hügel Richtung Hafen, kaufen Moby-Fährtickets, und dann sind wir endlich angekommen. Was für ein Glück, dass der Wind heute meist von hinten kam – mit Gegenwind wären wir gestorben. Dummerweise haben wir gerade eine Fähre verpasst, und die nächste Fähre ist von der anderen Fährgesellschaft (Toremar). Und so hocken wir eine gute Stunde vor dem Fährterminal herum, bis endlich die nächste Moby-Fähre fährt. Wie ich sehe, zersetzt sich mein Radl immer mehr: jetzt ist auch der Schaltzug des Umwerfers fast gerissen, er hängt nur noch an wenigen Drahtlitzen. Langsam wird alles alt, der hintere Schaltzug war vor ein paar Monaten dran, jetzt hat es diesen erwischt. Naja, wenigstens ist dieses Teil nicht missionskritisch. Aber wenn ich es vergleiche mit Basti, unserem Fahrrad-Hypochonder: er hat das neueste und teuerste Fahrrad, hat es bisher am wenigsten benutzt, sich vor der Reise noch jede Menge teures Equipment gekauft, und macht sich trotzdem Sorgen über jede Kleinigkeit... währenddessen stirbt meine Maschine langsam dahin. Gut, bei über 8000 km dürfen die ersten größeren Reparaturen kommen.

Zeltkonstruktion auf dem Campingplatz Acquaviva (Elba)Wir dürfen als erste in die Fähre reinfahren, und unsere Fahrräder hinten an der Seite neben ein paar Fässern absperren. Dann rollen die ganzen Autos und Laster an Bord, und wir gehen nach oben. Groß ist diese Fähre! Und offensichtlich wurde sie für die Ostsee gebaut, denn an vielen Stellen sieht man Beschriftungen in einer skandinavischen Sprache, und auch ein richtiges Sonnendeck sucht man vergeblich. Während langsam die Leinen gelöst werden, rasen immer noch Autos und sogar ein LKW heran und dürfen in letzter Minute noch an Bord (bei letzterem merkt man sogar, wie das Schiff ein Stück nach unten geht, als er an Bord fährt). Und dann fahren wir los; der kräftige Wind zwängt die hohe Fähre in eine deutliche Krängung.

Angekommen in Portoferráio fahren wir erst einmal rüber zu den Fährbüros, um sich für die Rückfahrt zu erkundigen. Weil unser nächstes Ziel Pisa sein soll, wäre es schön, mit dem Schiff bis Livorno fahren zu können. Michael hat mal im Internet was von so einer Schiffsverbindung gelesen, aber kann nicht mehr sagen, ob es eine Direktverbindung war. So eine ist in den Karten zwar nicht eingezeichnet, aber z.B. mit Zwischenstopp in Capráia müsste es gehen. Aber die Leute in den Fährbüros sagen etwas anderes: Schiffe fahren ausschließlich nach Piombino.

Es beginnt, langsam dunkel zu werden, und deshalb brauchen wir jetzt einen Campingplatz. Unserer grobschlächtigen Karte nach sind die nächsten an der Küste im Westen von Portoferráio, und so radeln wir los; direkt hinter dem Ort geht es natürlich wieder steil bergauf, dahinter bergab, und so weiter. Und es hat angefangen zu regnen. Nachdem wir ein paar Kilometer gefahren sind, sollte doch langsam der erste Campingplatz in Sicht kommen; Campingplätze sind selten da, wo sie eingezeichnet sind, wir können nur hoffen, dass die Karten nicht allzu falsch sind. Dann in einer Kurve passiert es: in einer Kurve kommt Michael ins Schleudern und er stürzt. Passiert ist nichts, wir müssen nur Taschen und Rücklichtdeckel einsammeln, aber es muss dieser verfluchte Schmierfilm sein, der sich bei beginnendem Regen auf der Straße bildet. Wenn man dann ins Rutschen kommt und vielleicht auch noch das Gepäck eine Eigendynamik entwickelt, hat man keine Chance, die Kontrolle zu behalten. Zum Glück ist gleich um die Ecke ein Campingplatz, nichts wie rein.

Regen im DschungelAm Campingplatz Acquaviva melden wir uns schnell an (und machen nicht den Fehler, drei Zelte anzugeben, sondern nur eines), und suchen uns einen Platz aus. Keine Zeit, das Gelände zu inspizieren, der Regen wird stärker, freie Plätze gibt es genug – im Akkord bauen wir die Zelte auf, und prügeln die Heringe in den harten Boden. Man kann ja nicht wissen, ob der Regen noch stärker wird. Damit die Campingplatz-Besitzer unsere Zelte als ein einziges akzeptieren, wird die Rettungsdecke ausgepackt, und mit Kabelbindern, Schnüren und einem Expander zwischen den Zelten, an der umgebenden Hecke und an der darüber verlaufenden Wäscheleine verspannt. Da soll niemand was sagen; schließlich ist das Zelt der Schweizer nebenan noch ein gutes Stück größer als unsere drei Zelte zusammengenommen.

Der Regen lässt etwas nach, und wir besichtigen den Platz: die Unwetter, die vor rund einem Monat über der Insel tobten und auch zu Hause in den Nachrichten erwähnt waren, haben hier ihre Spuren hinterlassen. Ein auf der Küstenseite liegender Zeltplatz und der Spielplatz daneben sind fast zur Hälfte weggerissen, das Rinnsal muss ein reißender Fluss gewesen sein, das Schilf ist zerfetzt, der Betonsteg beschädigt und der Zaun hängt an verschiedenen Stellen in der Luft. Wir duschen uns, dann ist es schon dunkel, und wir setzen uns in die Bar, die in einem großen Zelt ist. Das unvergleichliche Ambiente – weiße Kunststofftische und -Stühle unter Neonlicht auf Waschbeton-Boden – ist eindeutig die bessere Alternative gegenüber dem Sauwetter draußen. Wir bestellen uns einen Cappuccino, dann später Nudeln und schließlich noch Pizza Margarita, während wir herumsitzen, auf den permanent laufenden Fernseher in der Ecke starren (die italienischen Unterhaltungsshows sind reichlich merkwürdig, und dabei ist es der staatliche Sender Raiuno) und die Zeitungen studieren. Das Entziffern der Artikel ist praktisch ohne Sprachkenntnisse zwar zeitaufwändig, aber die haben wir auch – kurz gesagt, das beherrschende Thema ist die drohende Pleite des Fiat-Konzerns, eine nationale Tragödie.

Dann ist es Zeit, ins Bett zu gehen. Hoffentlich macht der Regen auf die knisternde Rettungsfolie nicht unsere Nachbarn wahnsinnig... ich will möglichst schnell schlafen, und erinnere mich dabei an die Ohrstöpsel, die ich dabei habe.

10.10.2002: Rain Man (Elba)

Napoleon-VillaDie ganze Nacht über hat es geschüttet, und auch morgens hängen noch dicke Wolken drohend am Himmel. Die Insel mit dem Fahrrad zu erkunden können wir grob vergessen. Ganz in Ruhe machen wir uns fertig – sicherheitshalber rollen wir Schlafsäcke und Isomatten zusammen und verstauen sie wasserdicht – und ziehen uns an der Bar vom Campingplatz Cappuccino und Kekse zum Frühstück. Was können wir stattdessen unternehmen? Zum Beispiel eine Wanderung, vielleicht zur Villa von Napoleon. Wir haben zwar keine brauchbare Karte von Elba, aber an der Wand hängt eine sehr gute Karte mit eingezeichneten Wanderwegen – daher wird schnell der Fotoapparat gezückt und die Karte abfotografiert.

Als der Himmel langsam etwas heller wird, machen wir uns auf den Weg. Der Wanderpfad sollte nicht weit vom Campingplatz entfernt von der Straße abzweigen, aber wir sehen kein Schild, und sind nach kurzer Zeit an einer Straßengabelung – also viel zu weit. Um das Beste draus zu machen, marschieren wir weiter nach Viticcio, ein kleines Nest, wo die Straße endet. An einem Garagentor wettern wir den Regenschauer ab, und nehmen dann den Fußweg, der an der Küste entlang nach oben geht. Man hat von hier einen schönen Blick auf die Landspitze von Enfola auf der anderen Seite, aber leider ist alles grau in grau, die Wolken hängen tief. Durch den Wald geht es immer weiter nach oben, dann kommen wir zu einer Weggabelung. Wohin? Ich befrage das GPS, es zeigt uns einen Weg Napoleon-Villa, Frontansicht der Demidoff-Galerieweiter nach oben durch den Wald. Ein übler Gestank von Fäulnis und Verwesung liegt in der Luft, als Verursacher werden ein paar Stinkmorcheln ein paar Meter weiter ausgemacht. Inzwischen wird der Regen immer stärker, er trifft uns zwar nicht direkt, aber die Nässe ist überall, von den Blättern der Bäume tropft es herunter und der Boden wird zusehends schlammiger. In meine Klickschuhe ist das Wasser natürlich schon längst eingedrungen, die Socken sind vollgesaugt... jetzt ist es eh schon egal. Langsam bewegen wir uns nach Süden, aber die erwartete Straße will einfach nicht kommen. Es geht wieder leicht bergab, und das Wasser, das den Weg entlang nach unten läuft, hat tiefe Gräben in den lehmigen und steinigen Boden gegraben. Endlich kommen die ersten Häuser in Sicht, und bald darauf geht es auf einer geteerten Straße nach unten.

An der Abzweigung nach La Biodola kommen wir auf die große Straße, und sofort hält ein Italiener mit einem Kleinlaster an und fragt uns, ob er uns weiterhelfen kann. Zur Napoleonvilla nach links. Und so trotten wir an der Straße nach unten, neben den Rinnsalen, die am Straßenrand entlanglaufen. Es regnet immer noch, und aus den Gesichtern der entgegen kommenden Autofahrer ernten wir nur fragende Blicke. Jedes vierte Auto ist aus der Schweiz, man könnte den Eindruck bekommen, dass die halbe Eidgenossenschaft nach Elba ausgelagert wurde. Ansonsten begegnet uns nur ein Radfahrer, der sich nach oben quält, und ein paar hundert Meter dahinter seine Frau; ihre Gesichter beschreibe ich jetzt lieber nicht, arme Schweine wie wir.

Portoferráio, HafenAls wir unten im Tal sind, hat der Regen langsam aufgehört, und wir laufen das Sträßchen nach San Martino hinter. Souvenirstände künden an, dass wir gleich da sind, und dann sieht man auch schon eine ansehnliche Villa am Ende einer Auffahrt. Nachdem wir Eintrittskarten gekauft haben, geht es auf einem Fußweg um das Haus herum nach oben, auf eine stattliche Dachterrasse, mit schönem Blick auf das ca. 6 km entfernte Portoferráio. Dann erkennt man es erst: die monumentale Säulenfront, aufwändig verziert, trägt nur die Dachterrasse; dort oben, weit nach hinten versetzt, ist ein kleines Häuschen, die eigentliche Villa. Sie ist von unten nicht zu sehen, und von außen überhaupt nicht besonders spektakulär. Die Zimmer sind zwar recht nobel ausgestattet, aber man trifft keinen verschwenderischen Pomp an. Unter anderem das Arbeitszimmer von Napoleon und das Schlafzimmer (das Bett ist wirklich kurz!) sind zu sehen, und dann der ägyptische Saal, dessen Fresken Motive aus Napoleons Ägypten-Feldzug darstellen. Eigentlich ist es etwas enttäuschend, wie klein die Villa ist; auch angesichts des etwas happigen Eintrittspreises (3 €). Vielleicht hätte man ihn sich sparen können, denn die Frau am Eingang ist in ihr Buch vertieft und will die Eintrittskarten gar nicht sehen. Unten, hinter der Säulenfront, ist die Galerie Demidoff, in der Drucke von Napoleons Schlachten ausgestellt sind. Manche davon haben Beschreibungen in deutsch, beispielsweise die Belagerung von Würzburg.

Wandmalerei in PortoferráioIm Café bei den Souvenirständen genehmigen wir uns einen Cappuccino, und dann kommt sogar die Sonne raus! Und wie auf Befehl kommen Reisebusse mit Rentnern und entlassen das Krampfaderngeschwader auf die Villa. Nichts wie weg! Auf der geraden Straße kommen wir recht zügig Richtung Portoferráio, aber am Ortseingang beginnt es wieder zu regnen. Wir stellen uns bei ein paar Bäumen unter, in der Hoffnung, dass es bald vorbei ist, aber der Regen wächst sich zu einem richtigen Wolkenbruch aus. Das Wasser tropft von den Blättern, und wir suchen Schutz am Eingang des benachbarten Hauses, offenbar ein Restaurant. Irgendwann kommt der Besitzer mit dem Auto, holt ein paar Sachen, und fragt uns, ob er uns irgendwo hinbringen kann. Klar! Wir springen in sein Auto, und während er im halben Blindflug durch das Unwetter steuert, versuche ich, die chronisch beschlagene Windschutzscheibe zumindest teilweise freizuwischen. Am Hafen lässt er uns raus (er hätte uns auch bis zum Campingplatz gefahren, aber wir wollen noch die Stadt sehen); dann fragen wir im Fährbüro noch einmal nach einer Schiffsverbindung nach Livorno, erfahren, dass die Schiffe nach Capráia usw. nur im Sommer fahren => an Piombino führt kein Weg vorbei, und wettern den immer noch heftigen Regen schließlich in einer Eisdiele ab.

Als der Regen aufgehört hat, wagen wir uns wieder nach draußen, und als wir Richtung Zentrum laufen, kommen sogar vereinzelte Sonnenstrahlen durch. Weiter geht es Richtung Festung, die hoch über der Stadt thront, und dann schon wieder zum Campingplatz. Der Weg ist weiter als man denkt; als wir ankommen, wird es schon dunkel. Wie gestern gibt es dort in der Bar eine schöne Pizza zum Abendessen.

11.10.2002: Katzen abkrageln (Elba)

Porto Azzurro: WolkengrenzeWir haben uns entschlossen, noch eine Nacht hier am Campinplatz zu bleiben, denn wenn wir schon einmal hier sind, wollen wir auch ein bisschen mehr von der Insel sehen. Wir schwingen uns auf unsere Räder, und fahren Richtung Osten – Rio Marina und Porto Azzurro sind geplant. Der Himmel ist zwar noch sehr wolkenverhangen, aber wir haben keine andere Wahl. Zuerst geht es bergab zum Hafen von Portoferráio, und dann umrunden wir die Bucht. Wir fahren durch eine Allee, und anschließend geht es um ein paar Kurven ein Stück bergauf. Dort sind die Fundamente einer römischen Villa zu sehen, und man hat einen schönen Blick auf Portoferráio gegenüber. Dann geht es wieder langsam bergab, und es beginnt zu tröpfeln. Bei einer Grundstückseinfahrt stellen wir uns unter, aber es hört bald wieder auf, und wir können weiter. Dafür wird es immer windiger, zum Glück ist es mehr ein Seiten- bis Rückenwind, der zumindest nicht bremst, und die Straße ist auch flach. Wir beeilen uns, für einen Abstecher nach Capoliveri drüben auf dem Hügel ist keine Zeit, die Böen werden heftiger, und als wir um die Ecke biegen, bläst mich eine Bö fast um. Dafür liegt Porto Azzurro direkt voraus, nur noch wenige hundert Meter, und wir sind da. Das Wasser ist aufgewühlt, und die Schwimmstege im Hafen tanzen heftig auf den Wellen – hier will man sein Schiff nicht festmachen! Kaum sind wir abgestiegen, beginnt es schon wieder zu regnen; wir sperren die Räder ab und verschanzen uns in den Gassen der Altstadt, aber es will einfach nicht aufhören, sondern wird immer stärker. Ein Wegweiser zu einem Geldautomaten lässt mich eine Expedition mit dem Regenschirm machen, aber es vergeht eine ganze Weile, bis ich die Bank endlich gefunden habe. Wegen der vielen Pfützen sind meine Schuhe schon wieder durchnässt, als ich zurück komme; dann retten wir uns gemeinsam in ein Café, trinken Cappuccino und lesen Zeitung. Vorhin am Kiosk gab es auch deutsche Zeitungen; die Boulevardblätter titeln mit dem schrecklichen Amoklauf von Dachau, wo vorgestern ein Mann seine Familie umgebracht hat – Bastis Mutter, die Lehrerin ist, hatte die Kinder im Unterricht, haben wir erfahren.

Rio nell'ElbaImmer neue Wassermassen regnen herab, man kann zeitweise kaum den Hafen erkennen. Ein wahrer Weltuntergang. Irgendwann hört es dann auf, und blauer Himmel kommt im Osten in Sicht, auf den Straßen bleiben quadratmetergroße Pfützen. Bevor wir weiterfahren, wollen wir noch etwas abwarten, und laufen zu Fuß los. Obwohl jetzt kein Wind mehr ist und die Stege des Yachthafens viel weniger schwanken, tun sich die Leute sehr schwer, die Schiffe zu verlassen – entweder der beherzte Schritt über die Gangway gelingt, oder nicht.

Am Nordende der Bucht ist eine große Festung, zu der ein Wanderweg hinauf führt. Ein beängstigendes Bauwerk, wie ein Gefängnis; im Wachturm ist eine Person zu sehen, anscheinend ist es noch in Benutzung. Der Weg ist zwischen Holzzäunen eingefasst und führt um den Festungshügel herum zur Nachbarbucht (mit einem schönen Sandstrand), und von dort aus laufen wir entlang der Straße wieder zurück nach Porto Azzurro (und sehen dort hinter dem offen stehenden Tor eines Hauses eine überdimensionale Modelleisenbahn). Inzwischen ist auch die Sonne wieder zu sehen, wenn auch nur aus einzelnen Wolkenlücken. Die schwarze Wolkenwalze, hinter der der blaue Himmel kommt, ist leider stehen geblieben, dafür hat sich die Bewölkung insgesamt aufgelockert.

Michael und BastiÜber flache Serpentinen fahren wir nach Norden Richtung Rio nell'Elba hoch. Immer wieder bieten sich schöne Ausblicke auf diesen Ort, der sich hoch am Berghang rund um den Kirchturm drängt. Dort angekommen, sperren wir die Räder bei der Kirche (als „Dom“ bezeichnet...) ab, und genießen die Aussicht hinunter nach Rio Marina (hinfahren werden wir nicht, wir sind schon so weit oben). Alles ist in diesem Dorf etwas kleiner: in einer Gasse gibt es beispielsweise eine Bodenwelle zur Verkehrsberuhigung, obwohl die Gasse so eng ist, dass man eh kaum mehr als Schrittgeschwindigkeit fahren kann, und das Fahrzeug der Wahl ist ein dreirädriger Minilaster. Auch die Carabinieri zeigen Präsenz und patroullieren mit ihrem Kleinwagen, obwohl die Fahrtstrecke hier im Ort sich immer im unteren dreistelligen Meter-Bereich halten dürfte. Naja, immerhin zeigt die Polizei Präsenz; in Deutschland treten die Polizisten dagegen nur in Erscheinung, wenn sie sich bei einer Verkehrskontrolle die Führerscheine anschauen und alle langhaarigen Männer nach Drogen filzen. Und noch etwas beobachten wir: ein Mann kommt mit seinem Minilaster und sieht in einem anderen Auto einen Bekannten; sie nehmen sich die Zeit, setzen sich erst mal gemeinsam in das Auto und unterhalten sich – bloß kein Stress, die Arbeit kann warten. Es gibt wichtigere Dinge im Leben. Das Haus nebenan, ein Hotel, ist auch so ein Symbol: natürlich ist es in Betrieb, auch wenn der Putz schon abblättert. Typisch italienisch; und man muss ihnen lassen: die Häuser sehen vielleicht manchmal heruntergekommen aus, aber stets in Würde gealtert, nichts wirkt billig oder unpassend, im Gegensatz dazu, wie es z.B. in den Ostblockländern kurz nach der Wende aussah.

Blick von Berg auf Rio nell’Elba, dahinter an der Küste: Rio MarinaWenn wir schon so weit oben im Dorf sind, macht es keinen Sinn, wieder hinunter zum Ortseingang und dann auf die Straße zu fahren; wir schieben die Räder gleich hoch zum oberen Ortseingang, und fahren von dort aus hoch bis zur „Passhöhe“. Da müssen wir uns auch unbedingt mal umschauen, und wir wandern bis zum Gipfel hinauf, der von einer Sendeanlage gekrönt wird. Ein heftiger Südostwind pfeift über den Gebirgssattel und erschwert das Gehen, aber wir haben eine fantastische Sicht auf die Umgebung. Im Osten liegt Rio nell'Elba unter uns, und unten an der Küste Rio Marina; weiter entfernt im Südosten liegt Porto Azzurro. Auf der anderen Seite sieht man die Bucht von Portoferráio, und weiter vorne einen einsamen Felsen, der von etwas gekrönt ist, das eine sehr stark verfallene Ruine sein könnte – oder auch natürlichen Ursprungs (wie wir später erfahren, ist es eine Ruine). Die Sonne macht sich immer noch rar, und man kann hier eine faszinierende Zweiteilung beobachten: im Nordosten, Richtung Festland, endet irgendwo die Wolkendecke, so dass das Meer blau leuchtet, während im Süden alles grau in grau ist. Immer wieder sind Schauer zu sehen, die über die Insel ziehen. Zuerst macht einer das Gebiet um die Napoleonvilla nass und duscht anschließend unseren Campingplatz, dann fällt ein weiteres Regengebiet über Portoferráio her, die Stadt verschwindet hinter einem Grauschleier. Und draußen vom Meer rollen zwei weitere Schauerwolken auf Elba zu – sie werden wohl noch eine Weile brauchen und dürften im Süden von uns vorbeigehen, schätze ich. Trotzdem mache ich mich jetzt auch an den Abstieg, der Wind ist ungemütlich, und ich muss wieder an den Schäferhunden vorbei, die die Schafherde bewachen – und jeden Eindringling auf Abstand halten.

Christoph, Basti und MichaelWährenddessen ziehen sich meine Freunde schon Regenkleidung über; Michael packt die Panik, sobald ich das Schloss geöffnet habe, greift er sein Rad und haut ab – er will nicht nass werden. Basti hinterher. Ich sehe die Situation als nicht ganz so eilig, folge dann aber, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Die Straße schwingt sich nach einem kurzen Gefälle wieder ein Stück nach oben, und dann geht es durch einen sehr spektakulären Einschnitt, der schmal und tief in den Felsen gegraben ist. Drahtzäune sichern links und rechts die senkrechten Felswände, und die Straße geht schmal und steil nach unten. Dann kommen unzählige Serpentinen, schließlich sind wir unten, und die Bremsen sind heiß gelaufen. Wir gönnen ihnen eine kurze Abkühlung, dann geht es weiter Richtung Portoferráio. Michael und Basti, im Windschatten dahinter, hängen mich ab, weil mir dank meines gerissenen Schaltzugs nur das mittlere Kettenblatt bleibt, so dass ich bei 35 km/h aufgeben muss. Michael rast mit teilweise über 50 km/h dahin, und was er in der Ebene herausfährt, kann ich bergauf kaum wieder reinholen, obwohl ich mein Bestes gebe.

In Portoferráio fahren durch das Stadttor am Hafen in das Zentrum, und suchen dann einen Supermarkt. Wir irren etwas herum, und finden dann endlich einen – in der alten Markthalle. In dieser großen Halle sind die Stände mit den Waren aufgebaut, die Getränke gibt es in den ehemaligen Ladengeschäften, wo man erst durch eine Tür hineinkommt. Wirkt alles reichlich seltsam. Frisch gestärkt laufen wir dann in der Stadt herum und zum Hafen, wo uns zwei Jungs auf der Luxusyacht gegenüber vom Stadttor mit irgendeiner Spielzeugwaffe unter Beschuss nehmen und das wohl verdammt witzig finden.

Blick auf PortoferráioInzwischen ist es dunkel geworden, und auch Zeit für das Abendessen, und wir setzen uns in eine nette Pizzeria. Nach dem Essen haben wir noch Zeit, einmal am Hafen entlang zu spazieren, und machen uns dann wieder auf den Weg zum Campingplatz. Und natürlich muss es wieder anfangen zu regnen, aber nur schwach. In der Rezeption vom Campingplatz sitzt ein junger Mann und spielt Gitarre; wir fragen ihn, ob wir schon heute bezahlen können, weil wir morgen früh losfahren wollen – kein Problem (bis darauf, dass er einen Rechenfehler macht und zu unseren Zelten kommt, um nachzukassieren). Basti entdeckt unerfreut, dass die Katzen, die den Campingplatz in Massen bevölkern, auf seine Zeltplane gekackt haben und grummelt etwas von "Katzen abkrageln", dann duschen wir uns und hocken uns wieder in die Bar. Als sich ein Gewitter ankündigt, renne ich sofort los, um noch vor dem großen Schauer mein Zelt zu erreichen, Michael und Basti wettern es in der Bar ab. Aber aus beiden Positionen bekommen wir das Ende des Gewitters gut mit: nachdem eigentlich schon alles vorbei ist, schreckt uns ein gewaltiger Donnerknall hoch. Es ist zwar nichts weiter passiert, aber dieser Einschlag muss ganz nah gewesen sein.

Strecke: 49,41 km

12.10.2002: Trainspotting (Elba – Pisa – Florenz)

Sonnenaufgang über dem MeerDie Fähre um 7:30 soll es sein, daher wollten wir um 6:00 Uhr aufstehen, aber Basti ist schon um 5:30 Uhr aktiv. Nach und nach fangen Michael und ich auch an, im Schein der Stirnlampen hängen wir erstmal die nassen Außenzelte über die Drähte, die über unseren Zeltplatz gespannt sind, packen wir unser Zeug zusammen und helfen uns dann gegenseitig beim Abschütteln und Zusammenlegen der Zelte und Unterlegfolien. Alles klappt problemlos, wir haben ausreichend Zeit, und um fünf vor sieben rollen wir aus dem Campingplatz. Es dämmert gerade, als wir die Kurven der Küstenstraße entlang fahren und dann im Zwielicht der Straße hinunter zum Hafen von Portoferráio folgen. Die Fähre steht schon da, und eine längere Autoschlange, die an Bord will (offensichtlich viele Pendler – wohnen auf der schönen Insel, und fahren zum Arbeiten in die Industriegebiete rund um Piombino), aber das Häuschen mit dem Kartenverkauf ist nicht besetzt. Dann weiter Richtung Innenstadt, irgendwo unter den Arkaden muss doch eine Verkaufsstelle sein – etwas atemlos komme ich an, kaufe die Fährtickets, und dann ist es schon fast Zeit, auf die Fähre zu gehen, denn wir sind als erste dran, vor den Autos. Verdammt, egal wo man ist, man begegnet jemandem von zu Hause – in diesem Fall ist es ein Reisebus von Ettenhuber, ein Busunternehmer aus unserem Landkreis.

Portoferráio, von der Fähre aus gesehenDie Fähre ist wieder die bunt bemalte „Moby Lally“. Alle Schiffe dieser Gesellschaft sind mit irgend welchen Figuren verziert – hier sind es die Comic-Figuren Lupo und seine Freunde, andere Schiffe hat z.B. der bekannte italienische Designer Ettore Sottsass gestaltet (er gründete in den Achziger Jahren die Designergruppe Memphis, die mit ihrem bunten, verspielten Stil gegen das nüchterne „Form follows Function“ antrat). Vom Deck aus haben wir einen schönen Blick über den Hafen und die Bucht von Portoferráio, und als wir ablegen, geht hinter den westlichen Bergen von Elba gerade die Sonne auf – um dann später wieder hinter einer Wolkendecke abzutauchen. Nach einer Stunde Fahrzeit legen wir in Piombino an (der Versuch, das Herausfahren meiner Freunde zu fotografieren, scheitert, weil ich meinen Fotoapparat nicht schnell genug parat habe), und suchen den Weg zum Bahnhof. Zum Glück fällt Michael ein Schild mit „FS“ auf (die ital. Eisenbahngesellschaft) – es stellt sich heraus, dass dieses unscheinbare Häuschen, nur 100 m vom Fähranleger entfernt, ein Bahnhof ist; und unser Zug nach Pisa startet bereits hier! Die Fahrkarten sind schnell gekauft, und der Zug steht auch schon bereit – der Bahnhof besteht aus einem einzigen Gleis, das, versteckt in einen tiefen Felseinschnitt, den Hügel hinter dem Hafen durchquert. Ganz vorne am Steuerwagen ist das Fahrradabteil, ein netter Schaffner hilft uns beim Einstieg (währenddessen laufe ich nochmal los, um das Ticket zu stempeln), und wir können es uns gemütlich machen. Der Zug Pisa, Blick über den Arnofährt fast pünktlich ab, zockelt gemütlich die Steigung zum Stadtbahnhof hinauf (nur einige hundert Meter), hält und wendet dort, dann geht es vorbei an den ganzen hässlichen Industrieanlagen aus der Stadt hinaus. Nach einigen Kilometern mündet das Gleis in die Hauptstrecke ein, der Zug wendet am Bahnhof zum zweiten Mal, und dann geht es nach Norden, meist an der Küste entlang. Livorno, das als bedeutende Hafenstadt auch jede Menge hässlicher Industrie haben dürfte, umfahren wir im Osten, wenig später kommt schon der Flughafen von Pisa in Sicht, und kurz danach sind wir in Pisa am Hauptbahnhof. Der nette Schaffner weist uns den Weg über die Gleise (sehr praktisch sind wiedermal die Furten über die Gleise; in Deutschland hätten wir die Räder mit Gepäck durch die Unterführung schleppen müssen), und wir suchen die Schließfächer. Leider sind sie alle außer Betrieb (und ein Zettel sagt, dass die nächsten Schließfächer am Flughafen sind). Auch die Gepäckaufbewahrung nebenan hat geschlossen. Ich frage bei der Bahnhofspolizei an (in der Hoffnung, dass wir unser Gepäck bei ihnen unterstellen dürfen) – aber der Beamte versteht kaum Englisch, und verweist mich an die Tourismus-Information und erwähnt auch die Schließfächer am Flughafen (sowie den Bus, der dorthin fährt). An der Tourismus-Information auf der Vorderseite des Hauptbahnhofs wartet schon eine große Schlange, aber es hängt bereits an der Tür ein Schild, das bestätigt, dass die einzigen Schließfächer der Stadt am Flughafen sind.

Pisa: Baptisterium und DomNa gut, dann bleibt uns nichts anderes übrig. Weit ist der Flughafen nicht weg – wir sind ja vorhin mit dem Zug vorbeigefahren, und auf dem Stadtplan ist erkennbar, dass das Terminal sogar auf der Nordseite des Flughafens ist; der Hauptbahnhof liegt in der Mitte zwischen Terminal und Stadt. Mit dem Fahrrad sind es nur 2 km, der ganze Flughafen ist recht übersichtlich – kein Vergleich zu München, wo der Airport eine eigene Stadt ist, alleine das Terminal 1 km lang und 40 km vom Stadtzentrum entfernt ist. Schnell ist auch die Gepäckaufbewahrung gefunden – aber 6 € pro Gepäckstück ist einfach unverschämt. Michael und ich haben jeweils zwei Satteltaschen, Basti sogar insgesamt vier Taschen; man könnte sie zwar zusammenhängen, aber so eine Preisgestaltung muss boykottiert werden. Mit vollem Gepäck radeln wir zurück in die Stadt, an lauter hässlichen Häusern vorbei; erst als wir den Arno am Ponte Solferino überqueren, hat man einen schönen Blick über den sanft gekrümmten und sehr breit dahinströmenden Fluss, mit Häuserfassaden in verschiedenen Pastelltönen aufgereiht an beiden Ufern. Langsam nähern wir uns dem Zentrum.

Blick in die DomkuppelDann geraten wir aber zu weit nach Westen, stadtauswärts – über einen Umweg geht es wieder zurück Richtung Brücke, und dort an einer Bäckerei ziehen wir uns erstmal einen Snack. Gegessen wird gleich an der Verkehrsinsel davor: hier mündet eine Einbahnstraße in die Durchgangsstraße, und der schmale Weg zwischen Verkehrsinsel und Bürgersteig ist wohl als Linksabbiegerspur für Radfahrer aus der Einbahnstraße gedacht. Aber fast im Minutentakt fahren dort in Gegenrichtung Rollerfahrer hinein, und zwar in umgekehrte Einbahnstraßenrichtung! Tja, italienische Verhältnisse. Einmal kommt eine Radfahrerin, stellt ihr Fahrrad genau vor dem Weg ab, so dass alle folgenden Rollerfahrer die Verkehrsinsel in anderer Richtung umfahren müssen, um in die Einbahnstraße zu kommen.

Frisch gestärkt schieben wir die Räder Richtung Stadtzentrum; zuerst zur Kirche San Nicola mit ihrem achteckigen und ebenfalls schiefen Turm (wirkt aber nicht sehr spektakulär), und weiter durch ein paar extrem heruntergekommene und dreckige Gassen zu einem großen und schönen Platz, der Piazza Dante Alighieri. Dort ist die Universität und eine Bank; von vorne sieht sie ja ganz chic aus, aber von den Seitengassen aus sieht man, dass das Gebäude extrem marode ist. Dann geht es weiter zur Piazza dei Cavalieri, am Ort des früheren Forum Romanum. Angeblich sehr sehenswert, mit Palazzi und der Eliteuniversität „Scuole Normale Superiore“ – aber eigentlich nur ein normaler Platz, da kennen wir aus Florenz oder Siena auf jeden Fall Besseres. Durch das Tor des Palazzo dell'Orologio, der aus zwei Geschlechtertürmen entstanden ist (daher der Durchgang in der Mitte), geht es weiter nach Nordwesten; ein moderneres Gebäude inmitten der alten Bausubstanz, bei dem viele junge Leute und ebenso viele Fahrräder herumstehen, lässt vermuten, dass es zur Universität gehört (z.B. Mensa) – hier gibt es auch eine auffällige Häufung von Graffiti (meist linke Parolen) an den Wänden der umliegenden Häuser. Duch eine weitere dunkle Gasse geht es nach Westen, und dann kommt er schon in Sicht, das Wahrzeichen: der schiefe Turm!

Blick auf den Dom (von Kuppel des Baptisteriums)Und dann sind wir auf dem Campo dei Miracoli: eine Rasenfläche, vom Nordwesteck der Stadtmauer umrahmt, wie ein grüner Teppich, auf der hintereinander aufgereiht der Campanile, der Dom und das Baptisterium stehen. Während der Rest der Stadt aus gelblichen bis bräunlichen Farbtönen besteht, sind diese Gebäude schneeweiß. Während der Rest der Stadt aus engen Häuschen und engen Gassen besteht, stehen diese drei Prachtbauten wie auf dem Präsentierteller. Während – abgesehen von wenigen Ausnahmen - der Rest der Stadt ziemlich heruntergekommen und dreckig ist, ist hier alles aufgeräumt und ordentlich. Und während im Rest der Stadt kaum Fremde sind, walzen hier die Touristenmassen durch; in der Stadt spricht man italienisch, hier herrscht englisch und japanisch vor (wahrscheinlich kriegen die Touristen gar nicht mit, wie das Stadtzentrum aussieht, sondern werden mit Bussen direkt bis zur Stadtmauer hingekarrt). Dieser Kontrast ist wirklich sehr auffällig!

Basti, Christoph, Michael vor dem schiefen TurmEin Polizist sagt uns, dass wir mit unseren Fahrrädern nicht auf das Gelände dürfen, sondern sie außerhalb absperren müssen. Und was ist mit dem ganzen Gepäck? Wir sperren die Räder an eine Laterne gegenüber, und dann kommen unsere Drahtseile zum Einsatz: Basti hatte sie für uns vor der Reise besorgt, und wir haben Augen durch spleißen oder löten in die Enden gemacht. Diese Seile fädeln wir jetzt durch Ösen an den Satteltaschen, durch die Laufräder und sperren sie mit den Kabelschlössern an, damit zumindest Gelegenheitsdiebe nicht einfach die Satteltaschen abnehmen können. Zum Ausräumen der Taschen dürfte die Hemmschwelle schon ein Stück höher sein, und sich nicht lohnen, weil i.W. nur Kleidung, Schlafsäcke und Zelte drin sind, die wenigen Wertsachen nehmen wir natürlich in Rucksäcken mit.

Und was wollen wir besichtigen? Den kürzlich erst wiedereröffneten schiefen Turm kann man vergessen, denn dafür braucht man eine Führung (nur alle halbe Stunde, nur 30 Leute), und es ist sauteuer (15 € pro Person, das ist halb so teuer wie ein Flugticket mit Ryanair dorthin!). Aus den anderen Sehenswürdigkeiten kann man sich mit Punktekarten das zusammenstellen, was man sehen will – wir kaufen uns Zwei-Punkte-Karten (6 €), um Dom und Baptisterium zu sehen. Der romanische Dom ist wirklich sehenswert; seine Säulen sind ähnlich gestreift (aus hellem und dunklem Marmor) wie z.B. in Siena, und das riesige Hauptschiff hat eine goldene Kassettendecke. Oben sind noch verschiedene Galerien zu sehen, die aber für Besucher nicht geöffnet sind. Über der Vierung ist ein großes Fresko, und von dort hängt auch ein großer Bronze-Kerzenleuchter herunter, der den berühmtesten Sohn der Stadt, Galileo Galilei, zu seinen Pendelversuchen angeregt haben soll; darunter bauen gerade Musiker ihre Instrumente auf. Und eines darf nicht unerwähnt bleiben: die Kerzenständer für die Opferkerzen. Letztere funktionieren nämlich elektrisch; wenn man eine Münze in den Opferstock einwirft, darf man eine Kunststoffkerze mit Glühbirne und Cinch-Stecker einstecken...

Räder im Zug nach FlorenzDann ist das Baptisterium an der Reihe. Es ist innen deutlich schlichter gehalten als der Dom, und enthält im Wesentlichen nur ein großes Taufbecken und – wie im Dom – eine aufwändig gestaltete Marmorkanzel. Über eine Treppe kann man oben auf eine Galerie gehen, und sogar noch weiter bis zwischen die Doppelschale der Kuppel. Man unterschätzt das Baptisterium: es ist höher, als man denkt, und man hat eine schöne Aussicht nach draußen. Lediglich das Fenster, das direkt in Richtung Dom zeigt, ist vergittert – aber jemand hat ein kleines Loch in das Drahtgitter geschnitten, so dass man trotzdem rausfotografieren kann.

Als wir das Baptisterium verlassen, beginnt es zu regnen, und wir stellen uns kurz am Stadttor unter. Wo wir etwas Missmut erregen, weil wir den einströmenden Touristengruppen im Weg stehen. Der Leithammel rennt voraus, mit hoch erhobenem Schirm, und die Masse trottet hinterher. Und natürlich sind sofort Regenschirmverkäufer zur Stelle, die Touristen zu sicherlich überhöhten Preisen versorgen wollen – auffällig ist, dass der Regenschirm-Markt fest in den Händen Schwarzer ist. Wo die nur alle herkommen? Denn bisher haben wir kaum Afrikaner gesehen, hier steht aber an jeder Ecke einer und verkauft irgend einen Schund - der hier am Stadttor beispielsweise batteriebetriebene Plastiksoldaten, die abwechselnd herumrobben und schießen.

Florenz bei Nacht (Turm von Santa Maria Novella)Als der Regen nachlässt, machen wir noch ein Selbstauslöserfoto vor dem schiefen Turm (weil die Kamera im Hochformat nicht von alleine steht, wird sie einfach mit zwei Kabelbindern an einem Absperrgitter festgelascht), holen dann unsere Räder und laufen wieder Richtung Stadt. Den restlichen Regen wettern wir in einem netten Café in der Via San Lorenzo ab (Studentenkneipe, und akzeptable Preise: Cappuccino 1 €). Jetzt ist es gerade einmal Nachmittag, und hier gibt es eigentlich nichts mehr zu sehen – also bleibt nur nur die Weiterfahrt.

Zurück am Bahnhof kaufen wir uns eine Fahrkarte (die Fahrrad-Tickets gelten zum Glück den ganzen Tag lang) und Cola nebenan beim McDonald's. Und dann ist es auch schon Zeit, auf den Bahnsteig zu gehen. Wir haben Glück, der vorherige Zug hat rund eine Viertelstunde Verspätung, so dass wir den noch erwischen; ganz hinten am Steuerwagen ist das Fahrradabteil. Wir machen es uns gemütlich, und mit nur maximal 50 km/h zockelt der Zug Richtung Florenz. Das weiß ich deshalb so genau, weil der Führerstand nicht abgesperrt ist; man kann sich reinsetzen, und die ganzen extrem antiquiert wirkenden Instrumente betrachten. Die vielen Knöpfe lasse ich lieber in Ruhe...
In Pontedera werden wir am Bahnhof von zwei Zügen überholt, und dann fahren auch wir etwas schneller: mit 140 km/h geht es durch das breite und vollkommen flache Arnotal dahin, das ab Empoli deutlich enger wird; dort folgt die Bahnstrecke den Biegungen des Flusses, und kurze Zeit später kommen wir in Firenze S.M.N. an. Schnell noch zum Info-Schalter: wann wird der Nachtzug bereitgestellt? Die Schalterbeamtin meint, um 21 Uhr. Gut, wir werden rechtzeitig dort sein. Alles wie vor einer Woche plus ein paar Stunden... nur diesmal ist die mächtige Domkuppel nicht im Dunst. Zuerst marschieren Florenz: Uffizienwir (mit Fahrrädern und Gepäck) wieder zur großen Markthalle und kaufen dort ein paar Vorräte für die Nacht ein (Kekse, Cracker, Saft), und laufen dann der untergehenden Sonne hinterher, die hinter der Kirche Santa Maria Novella verschwindet. Kurz danach ist es dunkel, und wir laufen auf der Via Panzani Richtung Dom. Viele Menschen sind unterwegs, wir müssen gegen eine richtige Völkerwanderung ankämpfen. Unterwegs halten wir noch bei einem Imbiss-Stand und ziehen uns einen Snack zum Abendessen, und dann geht es weiter durch die Stadt: zum Dom, dann weiter zu einem prächtigen Torbogen an der Piazza della Repubblica, wo ein paar Musikanten spielen, umringt von Zuhörern. Weiter geht es an der Loggia di Mercato Nuovo zur Piazza della Signoria mit dem Palazzo Vecchio, der Davidsstatue und den Uffizien. Immer wieder beeindruckend, umwerfend! Santa Croce wollen wir noch sehen, diese große Kirche, in der fast sämtliche Berühmtheiten der toskanischen Geschichte bestattet sind; über die Via dei Neri gelangen wir dorthin, und sind schon wieder von ihrer Größe und Schönheit fasziniert. Wie vom großzügigen Vorplatz, und seinen Häusern mit Fachwerk-Auskragungen.

Langsam wird es Zeit für den Rückweg; an der Piazza della Signoria wollen wir uns noch ein Eis kaufen, und gehen in die Eisdiele an der Ecke. Die Auswahl kann sich wirklich sehen lassen, ich tue mich wie immer schwer mit der Entscheidung. Währenddessen schlägt Basti zu: er sucht sich eine Waffel und drei Eis-Sorten aus, und die Verkäuferin baggert wie geisteskrank Eis drauf. Eine Riesenportion! Michael, leicht geschockt, wählt eine kleinere Waffel, aber selbst dort packt die Verkäuferin unglaubliche Mengen von Eis rein. Angesichts dessen verzichte ich komplett und esse bei den beiden anderen mit; Bastis Eis hat 12 € (!!!) und Michaels immer noch 6 € gekostet, bei einem Kilopreis von 16 € kann man sich vorstellen, welche Mengen die beiden in den Tüten hatten. Aber gut ist es!

12./13.10.2002: Trainspotting II (Florenz – München)

Florenz: Santa CroceAuf dem Weg zum Bahnhof erwischen wir die falsche Straße (nach Norden statt Nordwesten), bemerken den Irrtum aber rechtzeitig (San Lorenzo ist links statt rechts angeschrieben) und sind um 20:40, eine knappe Stunde vor Abfahrt des Zuges, am Bahnhof. Aber dort erwartet uns eine unerfreuliche Überraschung: die Dame am Schalter heute Nachmittag hat zwar gesagt, dass der Zug ab 21 Uhr bereit steht, aber er steht schon jetzt am Bahnsteig, und das Fahrradabteil ist bereits voll. Dabei ist der Zug noch nicht einmal richtig vorbereitet: erst eine einzige Tür ist aufgesperrt (die am Fahrradabteil), die Beleuchtung ist ausgeschaltet (man muss alles im dunklen Dämmerlicht machen), und mangels Lok funktioniert die automatische Türöffnung bei den Innentüren auch nicht - man muss an den Türen mit viel Kraft zerren, um sie zu öffnen. Ein Mensch von der Bahn, bei dem man einen Fahrradstellplatz hätte reservieren können, ist natürlich auch nicht in Sicht. Dabei wäre dieser Zug eigentlich reservierungspflichtig (falls man es irgendwo tun könnte), und auch der einzige Zug auf der Verbindung München-Italien, in dem man Fahrräder mitnehmen kann. Und wir haben keine Ferienzeit, sondern ein ganz normales Wochenende – der Deutschen Bahn muss doch bekannt sein, dass so viele Leute ihre Fahrräder mitnehmen wollen. Denn nach uns kommen noch sieben weitere Fahrräder rein, so dass am Ende rund dreimal so viele Räder drinstehen wie vorgesehen – eines musste sogar, geschützt durch eine Isomatte, auf die anderen draufgelegt werden. Als einziger Lichtblick fahren alle Radfahrer bis München durch; aber es hätte genauso gut sein können, dass jemand aus Innsbruck im Zug sitzt, und der hätte beim Aussteigen sicher viel Spaß (besser gesagt: keine Chance) gehabt.

Nachdem die Räder versorgt sind, brauchen wir Sitzplätze für die immerhin rund neun Stunden dauernde Fahrt. Reserviert haben wir natürlich keine, denn solange man sich nicht sicher sein kann, sein Fahrrad mitnehmen zu können, will man sich dank der nicht unerheblichen Reservierungsgebühr nicht auf einen bestimmten Zug festlegen. Natürlich sind alle Plätze ausgebucht, und die meisten sogar von Florenz oder zumindest Bologna bis München. Nur ein Abteil ist nur von Bologna bis Verona besetzt; dort checken wir ein und machen es uns bequem. Nach einer Stunde Fahrt müssen wir in Bologna die Plätze räumen, eine Gruppe von älteren Franzosen steigt ein. Ihnen sei es gegönnt; sie sind auf der Heimreise nach Montpellier, und müssen dazu in Verona und dann noch einmal in Nizza umsteigen, also auch eine reichlich lange Fahrt. Währenddessen müssen wir auf dem Gang stehen, und haben unsere Taschen neben uns hindrapiert – und sind dabei noch relativ gut dran, denn mit den Franzosen ist auch eine Schulklasse eingestiegen, die sich ihre reservierten Abteile auch erst freiräumen muss und so eine mittlere Völkerwanderung auf dem engen Gang des Waggons auslöst. Erst nach einer guten Viertelstunde hat jeder seinen Platz gefunden, und es kehrt Ruhe ein - der Italiener macht Späße („ja, dieses Abteil ist noch frei“), und die Mädchen nebenan verstecken sich hinter zugezogenen Vorhängen, um heimlich rauchen zu können.

In Verona steigen die Franzosen aus, verabschieden sich von uns und wünschen uns eine gute Reise – dann haben wir wieder das Abteil für uns. Wir verstauen unser Gepäck, machen uns breit, und dann Licht aus und Vorhang zu. Damit niemand auf die Idee kommt, uns zu stören. Es kommt zwar die Frau von vorhin und kurz danach noch ein Italiener rein, aber dann ist Ruhe – und wir können schlafen. Um vier Uhr morgens, am Brenner, werden wir unsanft vom österreichischen Schaffner geweckt, der gerade an Bord gekommen ist und die Fahrkarten kontrolliert, dann können wir weiterdösen.

In München angekommen brauchen wir erst einmal eine Weile, bis wir hinten am Fahrradabteil angekommen sind. Aber dort gibt es nicht mehr viel zu tun, denn Mitreisende haben schon fast alle Räder ausgeladen und vor dem Zug hingestellt – innerhalb weniger Minuten. Das nenne ich effizient! Ein Bahn-Mitarbeiter hat sich natürlich nicht blicken lassen, und die Beleuchtung des Zuges ist auch schon abgeschaltet, kaum dass wir ausgestiegen sind. Service ist ein Fremdwort, trotz der stattlichen Fahrpreise – das sehe ich kurz danach wieder, als ich eine Streifenkarte für die S-Bahn kaufe und für die rund 40 km in einer alten, klapprigen S-Bahn 7,20 € zahlen muss.

Während der Heimfahrt mit der S-Bahn dämmert es – obwohl schon erkennbar ist, dass es die Sonne kaum durch diese dichte Wolkendecke schaffen wird, und beim Aussteigen werde ich von einem eisigen Nieselregen begrüßt. Alles ist grau in grau, nur die gelben Blätter der Bäume stechen hervor – bis sie in einigen Tagen auch zu braunem Matsch auf den Straßen geworden sind und irgendwann das Dauer-Schmuddelwetter in den ersten Schnee übergehen wird. Alles ist kühl und klamm, die Luft schmeckt bitter nach Rauch – home sweet home!

Fazit

Es gibt definitiv geeignetere Landschaften für Radtouren – die Toskana ist stellenweise extrem hügelig, und wie beschrieben führen die kleinen Straßen immer über die höchsten Punkte der Hügel, wo sich die Ortschaften befinden. Und große Straßen sind auch keine Lösung, weil sie stark befahren sind und, im Gegensatz zur Po-Ebene, auch keine breiten Seitenstreifen für Radfahrer haben. Aber ansonsten passt die Gegend: an Sehenswürdigkeiten mangelt es wirklich nicht (angeblich finden sich hier 80% der Kunstschätze Italiens), und sie sind so verstreut, dass man einerseits kaum auskommt, andererseits aber niemals alles sehen kann. Die Toskana ist zum Wiederkommen gemacht! Und was sollte man sehen? Florenz und Siena sind ein Muss, dort könnte man jeweils problemlos mehrere Tage verbringen. Nur Pisa war eine Enttäuschung. Aber es gäbe noch so viel zu sehen: das Chiantiland (extrem hügelig, haben wir uns deshalb gespart), Arezzo, Volterra, die Maremma, und im Norden die Gegend um Carrara und das benachbarte Cinque Terre. Auch von den Leuten waren wir positiv überrascht: meist freundlich, und es wurde nicht bei jeder Gelegenheit versucht, die Touristen über den Tisch zu ziehen, wie das in anderen Gegenden Italiens offenbar der Fall ist.

Erfahrungen mit dem Einpersonenzelt „Climber I“ von Nordisk

Zelte "Climber I" in SienaAllgemein: ein feines Ding, leicht, mit schön stabilen Heringen, mit Innen- und Außenzelt; aber es hat folgende Nachteile: