Wir stehen gegen 7 Uhr auf, packen
unser Zelt zusammen, räumen auf und fahren los. Obwohl der
Campingplatz schon ein ganzes Stück über Lone Pine liegt, geht es noch ein
ganzes Stück nach oben bis zum Parkplatz am Trailhead (immerhin auf ca. 2500 m
Höhe!). Alle Parkplätze sind voll, wir weichen auf den
Overflow-Parkplatz aus (es heißt, der Mt. Whitney sei der meistbegangene
Trail in Kalifornien). Bis wir den Rest unseres Essens dort
wieder in den Containern verstaut haben und loswandern
können, ist es schon neun (wir wollten möglichst gegen
8 Uhr starten, aber egal...). Der Weg führt zuerst über
endlose Serpentinen nach oben (typisch amerikanisch: der Weg ist
relativ breit (halber Meter) und flach im Vergleich zu den Wegen
in den Alpen, dafür eben lang. Wir erreichen danach ein Tal,
das relativ flach ist; etwas weiter unten ist der Lone Pine Lake
(an dem der Trail nicht direkt vorbeiführt), danach ein Bach
mit Sumpf außenherum, und auf der anderen Seite des Sumpfes
liegt das Outpost-Camp, eine
einfache Fläche zwischen Bäumen, wo man Zelten kann,
mit einer Toilette in der Nähe, sonst nichts. In der Ranger
Station in Lone Pine wurde
uns gesagt, dass hier die letzte Stelle ist, wo es trinkbares
Wasser gibt - allerdings sehen wir weit und breit keinen
Wasserhahn, und warum sollte das Wasser aus dem Bach sauberer
sein als weiter oben bzw. durch was sollte das Wasser
überhaupt verschmutzt sein (später erfahren wir, dass
es im ganzen Gebirge Bakterien im Wasser gibt, die Durchfall und
Übelkeit verursachen); weiter oben müsse man das Wasser
filtern, also füllen wir uns eine Gallone aus dem Bach in
einen mitgebrachten Kanister ab, in den wir schon Eistee-Pulver
gegeben haben. Der Weg windet sich dann noch gut 200 Meter nach
oben, wir sind über der Baumgrenze, dann taucht
plötzlich ein Toiletten-Schild auf und wir sehen Zelte:
Hurra, wir sind endlich am Trail
Camp (gegen halb eins, auf ca. 3500 m)! Endlich wird das
Tragen leichter, wir haben ja schließlich Schlafsäcke
und Isomatten dabei, Michael trägt noch das Essen mit dem
bärensicheren Kanister, und ich das Zelt und die Gallone
Eistee... Wir bauen das Zelt auf, verstauen den
Bärencontainer einige Meter entfernt, laden Schlafsäcke
und Isomatten ab, machen erstmal eine Pause und essen etwas. Um
zwei geht es weiter, wir wollen den Gipfel heute noch schaffen. Der Weg
geht wieder ein ganzes Stück relativ gerade und flach dahin,
wir sehen weitere Zelte (warum campen die hier und nicht bei uns;
oder ist das Trail Camp eigentlich hier?), und uns begegnet eine
Rangerin, die unser Permit sehen will. Wird doch tatsächlich
kontrolliert! Zum Glück habe ich es dabei. Sie fragt uns, ob
wir den Gipfel noch heute besteigen wollen und meint, wir
würden wohl in die Dunkelheit kommen. Aber wir sind
ausgerüstet, Michael hat seine Stirnlampe dabei, und ich
zumindest eine kleine Taschenlampe. Außerdem weist sie
darauf hin, dass es auf dem Weg Eis gäbe, aber die Stelle
durch Ketten gesichert sei. Na dann. Gleich ist der gerade Weg zu
Ende, und wir kommen zu den Serpentinen. Über 99
„Switchbacks“ windet er sich an einem steilen Hang
nach oben. Wir brauchen fast zwei Stunden dafür (mit vielen
Pausen; die dünne Luft macht uns zu schaffen und raubt uns
die Ausdauer). Viele Leute kommen uns entgegen (man
grüßt sich immer), wir sind wohl die einzigen, die so
spät noch nach oben wollen. Endlich sind wir oben am Trail Crest, wir können
über den Grat sehen und blicken in den Sequoia-Nationalpark,
der auf der anderen Seite liegt (ab hier verläuft der Trail
im Park). Eine schöne, gemütliche Stelle, wir haben
wieder Sonne (da wir von Osten kommen, liegen die 99 Serpentinen
im Schatten). Wir ruhen uns etwas aus und ziehen unsere Pullis an
(ja, obwohl wir hier auf ca. 4000 Meter sind, waren wir bis jetzt
im T-Shirt unterwegs, aber jetzt wird es etwas windig), dann
gehen wir weiter. Eigentlich ist das jetzt nicht mehr viel bis
zum Gipfel, nur noch ca. 400 m Höhenunterschied, und der Weg
verläuft auf dem Grat entlang, aber uns (vor allem mir)
fällt es sehr schwer. Alle paar Schritte muss ich anhalten,
ich habe ein dumpfes Gefühl im Kopf, der Puls rast (oft
180), ich komme nicht vorwärts - wie als hätte ich
Grippe und will treppensteigen (für mich ist es das erste
Mal, dass ich so hoch bin; bestenfalls auf der Zugspitze war ich
mal beim Skifahren, Michael hat da schon mehr Erfahrung, er war
zwei Wochen vor dem Urlaub auf einer mehrtägigen Bergtour).
Michael läuft mir immer weiter davon, bis ich ihn gar nicht
mehr sehe, der Weg will kein Ende nehmen, und schließlich
ist der Trail auch gar nicht mehr richtig erkennbar, zwischen den
schroffen Felsblöcken, die die relativ flachen Westflanke
des Berges bedecken, ist ja egal, immer weiter nach oben. Als ich
ankomme, begrüßen mich schon zwei Bergsteiger:
„Congratulations!“ Danke, ich glaube, ich habe es
verdient, obwohl ich nur einer von vielen bin. Michael rennt
schon wieder herum zum fotografieren, mir reichts vorerst, und
erst nach einer Pause bin ich wieder soweit, dass ich
Videoaufnahmen machen kann. Viel Zeit ist nicht, denn es ist kurz
vor sechs, und die Sonne geht gerade unter - wir müssen
möglichst zurück bei den 99 switchbacks sein, wenn es
dunkel ist, der Weg hier oben ist teilweise schwer zu erkennen
und führt an manchen Stellen an Abhängen vorbei. Auf
der einen Seite steht ein Klo, auf drei Seiten umgeben von
niedrigen Steinmauern, mit freiem Blick auf den Abgrund. Was das
wohl soll.... Die beiden Bergsteiger von vorhin, die mich
begrüßt haben, machen sich hier gerade an den Abstieg,
sie seilen sich hier ab an der Steilwand. Wird auch Zeit. Wir
sind jetzt die letzten auf dem Gipfel. Die großen
Felsbrocken sehen gut aus in der Abendsonne, auf der Ostseite
sieht man den langen pyramidenförmigen Schatten des Berges,
weit über Lone Pine
hinaus, das dort unten liegt, bis auf die Berge auf der anderen
Seite des Tals Richtung Death
Valley, die so gleichmäßig bräunlichgrau wie
eine Mondlandschaft aussehen, gar nicht so
weiß-felsig-zackig wie der Mt Whitney und die Berge
daneben. Außerdem gibt es hier oben auf 4414 m ( 14996 ft -
wenn man auf dem Gipfel steht, ist man auf über 15000 ft)
Höhe noch ein Haus, eine Schutzhütte, die von innen wie
ein Bunker aussieht, mit einem Gipfelbuch in einem Kasten davor.
Und in der Nähe ist auf einem liegenden Fels ein
großes Schild, dass dies der höchste Trail der USA sei
und erinnert an seine Konstruktion in den 30er Jahren. Ein kalter
Wind weht, wir ziehen und Mütze und Handschuhe an, und
machen uns an den Abstieg (das ist jetzt eher wie ein
Spaziergang, wir unterhalten uns über alles mögliche -
außer bei den kurzen Steigungen, die uns wieder kurz K.O.
machen. Nach einer Weile sind wir zurück am Trail Crest, wo die Switchbacks
beginnen, und ruhen uns etwas aus (bis hier war es doch ein
ganzes Stück - so lang haben wir das gar nicht in
Erinnerung). Dort sitzt ein anderer Wanderer, mit dem wir auch
ein paar Worte wechseln: er ist auch spät dran und
möchte heute nicht mehr absteigen, darum übernachtet er
hier oben am Grat. Auf uns wartet unten unser Zelt, wir
müssen runter. Ab hier ist es absolut dunkel, und wir
schalten unsere Taschenlampen an. Auf den Sternenhimmel über
uns (wahrscheinlich der beste der ganzen Reise, bei der trockenen
Luft, in der Höhe) können wir leider nicht achten, es
geht einfach abwärts, Serpentine um Serpentine, endlos,
ewig. Eine Stunde sicher. Dann geht es wieder eben dahin, an den
anderen Zelten vorbei (bei denen wir vorhin von oben noch Licht
sahen, aber jetzt ist alles dunkel und ruhig), irgendwo links
muss der See sein, und bald müßte unser Zelt kommen.
Aber wo? So weit war es doch gar nicht. Michael schaut auf seinem
GPS nach, das Zelt ist ganz nah, eigentlich direkt links, aber da
ist es nicht. Er steigt auf einen Felsen und hält Ausschau.
Nichts. Rechts müsste irgendwo der See sein, den man so gut
von unserem Zeltplatz sieht, ist der wenigstens zu sehen? Wir
finden das Zelt einige Meter weiter, das war also wieder so ein
Fall, dass uns der Weg beim Abstieg viel länger vorkommt als
beim Aufstieg. Wir sind zu fertig um noch irgendwas zu machen und
legen uns gleich schlafen. Aber seltsamerweise schlafen wir nicht
tief und fest, sondern wachen gegen zwei Uhr auf und sind dann
zwei Stunden wach... und hören, wie eine Gruppe mit
Taschenlampen vorbeikommt, vermutlich wollen sie den Berg in
einem Tag besteigen, da muss man so früh los.