Wir stehen Viertel vor sechs auf,
machen uns fertig, fahren in den Ort und parken das Auto am
Bright Angel Trailhead. Mit dem Shuttle-Bus, der erst um zwanzig
vor sieben kommt, fahren wir dann bis zum South Kaibab Trailhead, wo wir gegen
Viertel nach sieben ankommen. Es ist immer noch saukalt, deshalb
haben wir lange Hosen und Pullover an. Der Trail schlängelt
sich steil an der Felswand bergab, nach einer knappen dreiviertel
Stunde wird es uns warm und wir ziehen uns um. Die anderen
Wanderer, die mit uns im Bus waren, haben wir längst
überholt. Mit gelegentlichen Foto- und Videostopps geht es
weiter runter (dabei knickt mir ein Bein meines Teleskopstativs
ab - Mist!). Das Erstaunliche am Grand Canyon ist einfach seine
Größe. Groß sieht er schon aus, klar, aber
richtig fassen kann man es nicht. Das muss man erleben, und
deshalb laufen wir runter. Man läuft und läuft und
läuft, aber kommt nicht viel weiter runter. Irgendwann haben
wir ein etwas flacheres, bewachsenes Plateau erreicht. Das kann
man von oben sehen, nicht aber den Colorado, der fließt
noch wenige hundert Meter tiefer in einem weiteren Einschnitt;
von oben sieht man ihn nur an wenigen Stellen, wo Seitencanyons
den Blick auf ihn freigeben. Er sieht von oben aus, als
hätte er vielleicht drei Meter Breite, tatsächlich ist
er aber etwa so breit wie der Inn. Auf dem Weg weiter runter
begegnen uns zwei 'Karawanen' von Maultieren, die Zeug
raufschaffen (auf den Maultieren werden Vorräte zur Phantom
Ranch runtergebracht und der Müll anschließend wieder
hoch; unten soll es sogar Bier geben... etwas pervers). Warum
haben die Amis hier eigentlich keine Lastenseilbahn oder eine
Straße runtergebaut? Normalerweise bauen die echt
überall eine Straße hin. Irgendwann haben wir es dann
geschafft, durch einen Tunnel und über eine
Hängebrücke über den Colorado geht es weiter und
schließlich ein Stückchen in den Bright Angel Canyon,
wo die Phantom Ranch liegt.
Hier unten ist eine ganz andere Welt, man kann den Rand des
Canyons nicht sehen, alles ist ruhig und abgeschieden, es wachsen
Kakteen und große Bäume (auf dem Weg gab es nur
Büsche). An der Phantom
Ranch ruhen wir uns aus, essen unsere Vorräte. Obwohl
wir flott unterwegs waren (v.a. Michael hat ein beachtliches
Tempo vorgelegt), fast alle anderen überholt haben, nur
kurze Pausen gemacht haben, haben wir drei Stunden gebraucht. Und
unsere Zehen tun uns weh, vom vielen runterlaufen. Hier unten
läuft eine Wasserleitung durch den Grand Canyon vorbei,
ebenso eine Telefonleitung (die von CCC-Arbeitern gebaut wurde,
jetzt von Mountain Bell betrieben wird und heute ein nationales
Denkmal ist). Das müssen wir uns natürlich geben, von
diesem entlegenen Punkt aus zu Hause anrufen. Wie schade, zu
Hause ist es regnerisch bei zehn Grad... hier ist es seit Tagen
nur noch sonnig und es hat momentan 30 °C, Tendenz steigend.
Gegen halb zwölf gehen wir wieder los, nachdem wir unsere
Wassersäcke aufgefüllt haben. Zurück geht's
über den Bright Angel Trail, der ist angeblich flacher,
länger, breiter, und mehr Maultiere sind darauf unterwegs
(länger ist er, flacher nur an manchen Stellen, aber genauso
breit, und mehr Maultiere sind auch nicht unterwegs - vielleicht
ist das in der Hochsaison anders, denn hier werden scheinbar die
Touristen transportiert, während auf dem South Kaibab Trail
die Güter befördert werden) und vor allem gibt es
mehrere Wasserstellen im Gegensatz zum South Kaibab Trail . Kaum
haben wir wieder den Colorado überquert, diesmal auf einer
anderen Hängebrücke, wird es schon unerträglich
heiß. Die Sonne steht fast senkrecht. Als der Weg in einen
Seitencanyon abzweigt, wird es brutal. Wir müssen uns oft
ausruhen und trinken sehr viel. Die ersten 300 Höhenmeter
bis zum Plateau scheinen gar nicht enden zu wollen. Bis wir den
ersten Rastplatz (unter Bäumen!) erreichen, haben wir unsere
Wasservorräte aufgebraucht. Dort ruhen wir uns aus, tanken
auf, essen was, und weiter geht's. Über das Plateau
gehen wir nochmal durch die brütende Sonne, dann
schlängelt sich der Weg in Serpentinen an der Felswand nach
oben, und es ist schattiger. Kaum zu glauben, dass es da noch
fast 1000 Meter raufgeht. Wir laufen und laufen. Es ist
tatsächlich so: man kommt zwar immer höher, relativ
schnell, finde ich, aber der Rim oder allein schon der hellen
Gesteinsschicht in den oberen gut 100 Metern kommt man einfach
nicht näher. Wir steigen und steigen, endlos, es geht
leichter als unten, weil es nicht mehr gar so heiß ist und
im Schatten liegt. Wir trinken nicht mehr ganz so viel, aber hier
im oberen Teil gibt es noch zwei weitere Rastplätze mit
Wasser. Wie kann man nur so endlos lange nur raufgehen? Kurz nach
fünf kommen wir oben an, nach über fünfeinhalb
Stunden Aufstieg. Insgesamt waren wir etwa zehn Stunden
unterwegs. Und diese Zeit haben wir auch gebraucht. Rein ins
Auto, zum Campingplatz, essen, schlafen, die Erholung brauchen
wir.