Kurz nachdem die Sonne aufgegangen ist, stehen wir auf und bauen das Zelt ab. Los geht's zum Merced Grove, der nur einige Meilen entfernt ist. Das ist ein Tal, in dem es die riesigen Sequoia-Bäume gibt. Die grössten der Welt stehen weiter südlich im Sequoia-Nationalpark, aber dort waren wir ja nicht. Neben der Straße ist ein kleiner Parkplatz, und ein 1,5-Meilen-Trail auf einem Forstweg führt zu den Bäumen. Noch nie sind uns 1,5 Meilen so lang vorgekommen, wir laufen immer weiter durch den Wald, dann in das Tal hinunter, links und rechts sehen wir verschiedene Bäume, manche ziemlich groß (vielleicht sind das ja die Sequoias, wir kennen sie ja nicht), deutlich größer als die Bäume in Deutschland. Und viele sind bewachsen mit den typischen buschigen, harten, neongelben Flechten, die wir nur hier im Yosemite NP gesehen haben. Aber dann kommen richtig große Bäume. Waren die anderen schon groß, dann sind die hier riesig. Sie sind sehr hoch, aber ihr Stamm ist im Verhältnis noch ein ganzes Stück dicker als bei anderen Bäumen, auf jeden Fall 3-4 m Durchmesser. Die Rinde ist ganz seltsam: wenn man daran klopft, klingt sie hohl, und sie ist sehr weich und faserig und man kann leicht ein Stück abreißen, allerdings ist sie bis zu 50 cm dick, wodurch der Baum vor Waldbränden geschützt ist. Es hat eine Weile gedauert, bis man verstanden hat, dass die Sequoias sogar auf Waldbrände angewiesen sind: das Feuer vernichtet die Vegetation außenherum, und die Hitze öffnet die kleinen Zapfen mit den Samen, die dann keimen können. An diesen Bäumen ist alles eine Nummer größer, auch die Rindenstruktur. So sehen sie fast aus wie „normale“ Bäume (abgesehen von dem etwas überproportional dicken Stamm), aber alles eben zwei Nummern größer, weshalb es etwas merkwürdig aussieht, wenn so ein Sequoia zwischen anderen Bäumen steht. Jetzt geht es hinunter in das Yosemite Valley, das eigentliche Kerngebiet des Parks. Das ist ein großes Tal, in das eine Sackstraße zum Yosemite Village führt. Wegen des riesigen Besucheransturms im Sommer ist alles sehr großzügig angelegt, jeweils eine zweispurige Straße führt hinein und hinaus, und ein Shuttle-Bus fährt kostenlos herum. Wir stellen unser Auto auf den Parkplatz und laufen in das Dorf, wo wir etwas einkaufen, unsere Postkarten zum Postamt bringen und zuhause anrufen. Dann fahren wir zum Yosemite Fall, immerhin der fünfthöchste Wasserfall der Erde, an der Nordseite des Tals. Mehrere Schilder und Tafeln warnen vor der Gewalt des hinabstürzenden Wassers und der Gefahr durch rutschige Steine, aber: der Wasserfall ist ausgetrocknet! Während zur Zeit der Schneeschmelze hier sicherlich ziemliche Wassermengen herunterkommen, gibt es im Herbst gar kein Wasser. Schade; enttäuscht fahren wir weiter, zum Bridalveil-Fall auf der Südseite, der zumindest Wasser führt, wenn auch nicht sehr viel. Gegenüber auf der 1000 m hohen und absolut senkrechten Felswand des „El Capitan“ entdecken wir Kletterer, die so winzig aussehen, dass man sie mit bloßem Auge gerade so erkennt. Wieder zurück im Yosemite Village stellen wir das Auto wieder ab und fahren dann mit dem Bus zum „Nature Center at Happy Isles“, von wo aus wir zu den Nevada Falls wandern wollen. Auf der Karte sieht es so aus, als ginge der Weg flach am Fluss entlang, aber der Fluss ist alles andere als ruhig und flach dahinfließend, und der Weg hat einige starke Steigungen zu bieten. Aber es lohnt sich, die Landschaft ist wieder einmal wunderschön, wir steigen zum Vernal Fall hoch, darüber ist ein kleiner See, in den der Bach über eine riesige Felsplatte fließt, wie über eine Wasserrutsche. Einige Leute sonnen sich daneben, manche gehen auch ins Wasser, das gar nicht so kalt ist. Die ganze Zeit sehen wir Löschflugzeuge und –hubschrauber. Wir geben uns noch die Aussicht auf den Nevada-Fall weiter oben von einer Brücke, dann wird es Zeit, dass wir umdrehen. Eigentlich wollten wir noch einen anderen Trail machen, zum Mirror Lake, aber dafür reicht die Zeit nicht mehr - es ist jetzt kurz nach fünf, und wir wollen noch hinauffahren zum Glacier Point, einem Aussichtpunkt hoch über dem Yosemite Valley, um dort den Sonnenuntergang um kurz vor sieben zu genießen. Die Straße führt am Bridalveil Fall vorbei, und dann geht es den Berg hoch, nicht allzu steil, in unzähligen Kurven schlängelt sich die Straße nach oben, am Hang entlang, durch den Wald - und schon wieder einmal zieht sich die Strecke endlos in die Länge. Angekommen am Glacier Point, der fast über dem Yosemite Village liegt (Luftlinie nur ca. eine Meile, ein paar hundert Höhenmeter weiter unten), sind wir gerade noch rechtzeitig. Eine ganze Menge anderer Leute ist schon da. Obwohl die Straße sehr gut ausgebaut ist und man fast immer die erlaubten 45 mph fahren kann, waren wir doch eine gute Dreiviertelstunde von unten aus unterwegs!!! Als wir gerade die ersten Fotos und Videoaufnahmen machen (das Tal ist bereits im Schatten, die Abendsonne strahlt die Berge wie den Halfdome oder den North Dome rötlich an, wir sehen unten das Tal, wo wir gewandert sind), kommt ein Ranger, um hier den „Sunset Talk“ zu halten. Wie er uns erzählt, hält er ihn das letzte Mal in diesem Jahr, und das Thema ist die Entstehung des Parks. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erkannte man die Besonderheit und Schutzwürdigkeit des Yosemite Valleys. Weil die USA zu der Zeit gerade im Bürgerkrieg waren, wurde das Gebiet von Lincoln unter Schutz gestellt und vorübergehend an den kalifornischen Staat abgegeben. Später bekam der Bund das Gebiet wieder zurück, allerdings nur unter Auflagen; daher rührt z.B., dass man noch heute im Nationalpark einen kalifornischen Angelschein braucht, wenn man fischen will, obwohl der Park nicht zu Kalifornien gehört. Einige Jahre später wurde das Yellowstone-Gebiet unter Schutz gestellt und zu einem Nationalpark erklärt, und Yosemite dann auch zu einem Nationalpark gemacht. Daher gilt Yellowstone als der älteste Nationalpark, obwohl Yosemite einige Jahre älter ist. Im Laufe der Zeit kam dann noch das Land um das Yosemite Valley herum zum Nationalpark hinzugefügt, weil man erkannte, dass man das Tal nicht erhalten kann, wenn auf den Bergen außenherum durch Viehzucht die Vegetation geschädigt und das Wasser verschmutzt wird. Wenn man sich vom Glacier Point aus umsieht, dann gehört das gesamte Land, das man sehen kann, zum Nationalpark, und es ist nicht einmal die Hälfte des Parks. Waldbrände sind ganz natürlich; früher hat man sie gelöscht, aber heute lässt man sie z.T. brennen, seit man weiß, dass z.B. die Sequoia-Bäume das Feuer für ihre Vermehrung brauchen. Als optimal hat sich erwiesen, den Wald alle 20 Jahre abzubrennen, und so wird in immer verschiedenen Regionen des Parks Feuer gelegt - nach einem exakten Plan; natürliche Brände lässt man brennen, falls sie einigermaßen ins Konzept passen. Was man allerdings am Berg gegenüber, hinter dem Halfdome, ein halbkugelförmiger Berg, oberhalb des Yosemite Village, dessen vorderer Teil (ca. 20%) abgebrochen ist, und der das Wahrzeichen des Yosemite Nationalparks ist, an Rauchschwaden sieht, ist allerdings auf Brandstiftung zurückzuführen, wahrscheinlich ein illegales Lagerfeuer oder so. Der Ranger sagt, dass die Verantwortlichen mit hohen Schadenersatzforderungen rechnen können. Heute früh hat der Ranger den Brand entdeckt, und seitdem sind die Löschflugzeuge unterwegs, es wurden auch einige Bergsteiger vom Halfdome mit dem Hubschrauber evakuiert. Sie waren zwar nicht direkt bedroht, aber der Aufstieg über die Rückseite führt durch das brennende Gebiet, auf der Vorderseite kann man nur über die fast senkrechte Felswand auf- oder absteigen. Zum Glück passiert so ein Feuer nur alle paar Jahre. Wir machen uns wieder auf den Weg, eine gute halbe Stunde lang rasen wir bergab, bis wir wieder unten im Tal sind. Bei El Capitan halten wir an: wir sehen winzige Lichter, offenbar sind die Kletterer noch in der Felswand, aber fotografieren kann man sie nicht, und weiter auf der Straße Richtung Merced aus dem Park hinaus. Die Straße ist eine einzige Baustelle, überall stehen Baumaschinen herum, und an manchen Stellen ist sie nur einspurig, durch Ampeln gesichert (mit einem ziemlich bescheuerten System: die Ampel und der Flutlichtscheinwerfer daneben (obwohl nicht gearbeitet wird) werden von einem eigenen Generator mit Strom versorgt, der wohl Tag und Nacht läuft). Am Ende des Parks ist die Baustelle zum Glück zu Ende, und die Straße windet sich wieder endlos dahin (die Kurven sind zwar nicht sehr eng, und das Geschwindigkeitslimit selten niedriger, als man fahren kann; einen Teil der Strecke hatten wir sogar den Eindruck, dass es überhaupt keine Geschwindigkeitsbeschränkung gibt; so fahre ich ziemlich rasant, was die Straße so hergibt, aber immer wieder überholen uns Amis und sind nach wenigen Minuten außer Sichtweite, wie machen die das bloß). In einem Ort auf dem Weg tanken wir, und nicht lange danach ist die hügelige Landschaft zu Ende, der Lichtfleck da vorne muss Merced sein, wir kommen ins San Joaquin-Tal, das ca. 80 km breit ist und sich über 600 km lang von Norden nach Süden durch Kalifornien erstreckt. In Merced nehmen wir das erstbeste billige Motel (der Ort scheint nicht sehr groß zu sein) und räumen unser Zeug ein; dann brauchen wir etwas zu essen. Etwas Sorgen macht uns eine Gruppe schwarzer Jugendlicher, die auf dem Motelgelände herumhängt - wir wissen nicht, was sie vorhaben, wie wir sie einschätzen sollen. Wir fahren weiter durch den Ort, unter der Interstate durch (Merced scheint nur ein Ort rund um die Kreuzung der Interstate mit mehreren Highways und einer Eisenbahnlinie zu sein - etwas anderes markantes sehen wir nicht), wo es fast so aussieht, als seien wir wieder draußen, aber hier kommt noch der größere Teil von Merced. Die Straßen verlaufen nach dem Grid-Pattern-System, in der einen Richtung sind sie mit Zahlen, in der anderen mit Buchstaben durchnummeriert, es gibt eine Ecke, wo noch ein paar Motels sind, und ein paar Fast-Food-Schuppen. Eigentlich wollte ich zu Wendy's (schmeckt angeblich ganz gut), aber das hat schon zu, wie die meisten anderen (es ist schon nach 22 Uhr), nur der Drive-Thru ist noch geöffnet. Schließlich landen wir bei In & Out Burger (Drive-Thru), sagen unsere Bestellung in den Trichter, und nach einer längeren Wartezeit haben es die Angestellten dann geschafft, unsere 'Double Double' Burger zuzubereiten. Zurück im Motel lassen wir uns das Essen erstmal schmecken (naja, schlecht war's nicht), duschen uns (Endlich! Nach sechs Tagen stinken wir sicher schon vor Dreck, endlich wieder einmal in einem Motel.), und wollen uns wieder Internetanschluss verschaffen - aber das geht nicht, das Telefon hat keine Westernstecker (RJ-11), sondern ist ein älteres Modell, das fest angeschlossen ist. Ich schraube zwar die Telefondose auf und versuche zwei Stunden lang, mit allerhand Tricks das Modemkabel mit Hilfe von Krokodilklemmen, die ich dabei habe und Resten einer Coladose mit der Telefonleitung zu verbinden, aber dieser Westernstecker ist einfach zu filigran, ich schaffe es nicht, einen Kontakt herzustellen. Schade.