Wir stehen schon um halb sechs
auf, weil wir heute viel vorhaben, wir wollen uns San Francisco
anschauen. Um sechs brechen wir auf, zu Fuß, zur
nächsten BART-Station (Lake Merritt). Es ist eine gute Meile
bis dorthin, und ganz wohl fühlen wir uns nicht,
ausgerüstet mit Foto und Videokamera leicht als Touristen zu
erkennen, an dunklen Hauseingängen und Seitenstraßen
vorbeizugehen, aber es passiert nichts. Das BART-System ist nicht
schlecht; in etwa zu vergleichen mit einer Münchner U-Bahn,
die unterirdische Station ist ähnlich, und die Züge,
ebenfalls mit einer Stromschiene statt Oberleitung, sind relativ
modern (das System stammt ebenfalls aus den siebziger Jahren) und
effizient. Die nächste Station ist überirdisch (Oakland
West), dann geht es unter der San Francisco Bay durch. Die
Züge müssen da ein ganz schönes Tempo fahren, das
„Abtauchen“ merkt man sehr deutlich in den Ohren, und
die Unterquerung der Bay dauert angeblich nur vier Minuten (mit
dem Auto haben wir sieben gebraucht, obwohl man zügig mit 65
mph über die Bay Bridge fahren konnte). Angekommen in
„Powell Street“ laufen wir erstmal Richtung Union Square (dort ist noch nichts
los), und dann durch die Grant Avenue Richtung Chinatown - zu
erkennen am Dragon Gate, ein
Tor, das typisch chinesisch aussieht, und den Beginn von
Chinatown markiert. An der California Street kreuzen wir die
Cable Car-Linie, und laufen dort ein Stück bergauf: die
Sonne geht gerade auf, und die Gleise der Cable Car glänzen
in der Sonne, den ganzen Berg hinab, und unten sieht man zwischen
den dunklen Hochhäusern des Financial District ein
Stück der Bay Bridge im Sonnenlicht. Hier oben kreuzen sich
zwei Cable Car-Linien, an einer Ecke der Kreuzung ist ein kleines
Häuschen, in dem jemand sitzt und den Betrieb
überwacht. Wir laufen wieder hinunter nach Chinatown, und
hier sieht es dann richtig chinesisch aus. Nur der McDonald's
passt nicht so ganz rein. Hier siedeln sich schon seit Ewigkeiten
Chinesen an; nach dem verheerenden Erdbeben von 1906 wollte man
die Chinesen vertreiben, aber die bauten ihre Häuser viel
schneller wieder auf, als die Stadtverwaltung reagieren konnte,
verzierten sie mit chinesischen Symbolen und Dächern und
argumentierten, dass man jetzt eine Sehenswürdigkeit
geschaffen habe. Und das ist ihnen irgendwie auch gelungen. Auch
die Straßenlaternen haben Pagodendächer, und über
die Straße sind Transparente gespannt, die für das
Mondfest werben, das vor einigen Tagen gewesen sein muss.
Chinatown ist die größte chinesische Ansiedlung
außerhalb Chinas, und immer noch lebendig, es ziehen immer
neue Leute zu (diejenigen, die sich etabliert haben, ziehen in
bessere Gegenden; Chinatown bleibt die Anlaufstelle für
Neuankömmlinge), und viele Leute sprechen kaum Englisch. Wir
gehen in eine Bäckerei und wollen uns etwas kaufen, eine
Frühlingsrolle, die die Verkäuferin ,die
tatsächlich nur ein sehr schlechtes Englisch spricht, uns in
der Mikrowelle warm macht. Wir haben von Bekannten gehört,
dass hier unwissende Touristen in chinesischen Restaurants
abgezockt werden, wo das bestenfalls mittelmäßige
Essen völlig überteuert ist. Aber in dieser
Bäckerei kaufen auch Chinesen ein, und die
Frühlingsrolle schmeckt auch gut. Nach einer Weile haben wir
wieder Hunger (es ist etwa halb acht, das hier ist unser
Frühstück), und wir gehen in eine andere Bäckerei.
Die Mondkuchen sehen gut aus, aber es steht kein Preis dabei; die
Verkäuferin weist uns erstmal darauf hin, wie teuer sie sind
(ca. $4 pro Stück) - egal, wir probieren sie trotzdem, und
sie sind auch gut (mit einer komplizierten Füllung) und ihr
Geld auch wert: sie machen so gut satt, dass wir erst um drei Uhr
nachmittags wieder Hunger bekommen. Wir laufen weiter, auf den Telegraph Hill zum Coit Tower, wo wir vor ein paar
Stunden erst mit dem Auto waren - aber der verdammte Turm hat
immer noch geschlossen. Wir können jetzt nicht warten,
vielleicht kommen wir heute nochmal vorbei. Wir laufen weiter zur
Lombard Street, fotografieren
die Autos, die sich die Serpentinen hinunterzwängen, und
wollen jetzt endlich mal mit dem Cable Car fahren, die Hyde
Street hinunter zum Hafen. Wir kaufen uns Tagestickets für
je $6, und steigen ein. Der Wagen ist, wie immer,
überfüllt, und wir mit unseren Rucksäcken und
Taschen dürfen uns nicht außen dranhängen,
sondern müssen in den geschlossenen Innenraum. Dieses
Verkehrsmittel ist schon abenteuerlich: Die Wagen sind schon
hundert Jahre alt, fahren auf Schienen, zwischen denen in einem
Kanal das Kabel läuft (mit konstanter Geschwindigkeit von 15
km/h, durch Rollen geführt; wenn man an so einer
Straße steht, hört man ständig das monotone
Surren des Kabels. Hinten am Wagen ist eine Plattform zum
Einsteigen und ein geschlossenes Abteil. Vorne in der Mitte steht
der Fahrer und steuert das Gefährt mit einem Pedal
(Radbremse) und zwei ca. 1m langen Hebeln (mit dem linken Hebel
hängt er die Bahn in das Kabel ein, mit dem rechten Hebel
bremst er das Fahrzeug, indem Holzklötze auf die Schienen
gepresst werden), und links und rechts davon kann man auf einer
Bank quer zur Fahrtrichtung sitzen oder sich, auf dem Trittbrett
stehend, an den Stangen festhalten. Bei fast jeder
Querstraße muss er anhalten (4-Way-Stoppschilder), das
Fahrzeug vorsichtig über die Kreuzung rollen lassen, und
kann dann erst wieder weiterfahren. Bergauf muss er sich dazu nur
in das Kabel einhängen, und der Zug wird mit 15 km/h
hochgezogen. Bergab reisst er mit aller Kraft am Bremshebel, und
es riecht nach dem verbrannten Holz der Bremsklötze. Und
besonders anspruchsvoll sind die Kreuzungen zweier Cable
Car-Linien: weil sich hier auch die Zugseile kreuzen müssen,
kann der Fahrer nicht einfach durchfahren, sondern muss am Anfang
der Kreuzung auskuppeln und rüberrollen, bis er sich wieder
in das Kabel einkuppeln kann - da fängt er natürlich
gleich hektisch zu klingeln an, wenn ein Autofahrer die Kreuzung
blockiert, und versucht ihn zu verscheuchen, weil ansonsten wohl
der Wagen stehenbleiben würde und per Hand auf die andere
Seite geschoben werden müsste. So abenteuerlich das System
ist, so gut und zuverlässig funktioniert es. Eine
Touristenattraktion ist es sowieso. Als 1873 das Cable Car-System
erfunden wurde (das wegen der steilen Berge ideal für San
Francisco ist), sind schnell einige Betreibergesellschaften
entstanden und haben ein dichtes Netz an Cable Car-Linien
aufgebaut (160 km, 600 Wagen). Heute sind nur noch drei Linien
(17 km, zwei in Nord-Süd- und eine in Ost-West-Richtung)
erhalten, Ende der sechziger Jahre beschloss man, sie zu
erhalten, und Anfang der achtziger Jahre wurde das gesamte
Schienennetz komplett renoviert, wobei der Betrieb für fast
zwei Jahre stillstand. Unten angekommen sehen wir uns noch die
Drehscheibe an (die beiden Nord-Süd-Linien haben an jedem
Ende eine Drehscheibe, um den Wagen zu wenden; die Ost-West-Linie
hat stattdessen zwei Fahrerstände in den Wagen). Der Fahrer
lässt den Wagen auf die Drehscheibe rollen, dann drehen
Fahrer und Schaffner die Scheibe 'per Hand' und schieben
den Wagen dann auch wieder mit Muskelkraft herunter. Unten sehen
wir uns zuerst die Museumsschiffe auf dem Hyde Pier an (Raddampfer,
Segelschiffe), dann laufen wir weiter, zum Ghiradelli Square
(einer alten Schokoladenfabrik, die heute renoviert ist und
lauter kleine Geschäfte aller Art beherbergt - wirklich nett
gemacht und sehenswert). Die nächste Station ist die Cannery, ebenfalls eine alte
Fabrik, ein großer Backsteinbau mit Innenhof, ebenfalls
wunderschön gemacht. Dann kommen wir zur Fisherman's
Wharf und zum Pier 39 -
ziemliche Touristenattraktionen, mit sehr teuren Bootsfahrten
nach Alcatraz, einem ausgestellten U-Boot, und massenhaft
Ramschläden und andere Souvenirshops. Menschenmassen
schieben sich hier durch, es ist schon faszinierend, aber nicht
wirklich schön und gemütlich. Auch auf der Strecke bis
zur Cannery reiht sich ein
Ramschladen an den anderen, und in Elektronikläden wird
versucht, einem alles mögliche anzudrehen - aber irgendwie
sieht das unseriös aus. Wir wollen wieder zurück ins
Zentrum, zum Union Square.
Eine Fahrt mit dem Cable Car wäre schön, aber hier
wartet schon eine sehr lange Schlange. Wir nehmen den Bus,
für den unsere Karte auch gilt. Buslinien gibt es sehr viele
in San Francisco, aber die Strecken- und Fahrpläne sind
etwas seltsam, wir zumindest haben sie nicht durchschaut.
Irgendwann kommt der Bus (ein Oberleitungsbus), und auf seiner
Strecke steigen so viele Leute ein, dass in Chinatown dann
niemand mehr reinpasst, er fährt an den anderen Haltestellen
nur noch durch, die Leute fluchen, und der Fahrer wirkt schwer
gestresst; kurz vor dem Union
Square ist die Fahrt dann (vorzeitig?) zu Ende. Der Bus ist
hier wohl nicht das zuverlässigste Verkehrsmittel. Wir gehen
zu Macy's, um uns die Thermos-Tassen zu kaufen, die wir schon
die ganze Zeit haben wollten, und dann zur Market Street. Das
nächste Ziel sind die Twin
Peaks, zwei Berge im Südwesten des Stadtzentrums, von
denen man eine gute Aussicht haben soll. Hier probieren wir das
nächste Verkehrsmittel, die Straßenbahn, von der es
eine Linie gibt, die die Market Street entlangfährt. Die
Züge sind alles andere als neu, uralte Dinger, und der
Fahrer, ein Farbiger mit Rastalocken, ist auch ganz lässig
drauf, interessiert sich recht wenig, ob seine Fahrgäste
Tickets haben, sondern klingelt und lehnt sich wild
gestikulierend und schimpfend aus dem Fenster, um sich freie Bahn
zu verschaffen. Am Ende der Strecke ist es etwas chaotisch, die
Straßenbahn vor uns scheint sich an einer Weiche verfahren
zu haben und rangiert rückwärts zurück, die Fahrer
unterhalten sich, und dann sind wir da. Wir müssen jetzt in
den Bus umsteigen (auf den wir wiedermal Ewigkeiten warten
müssen, Busse der anderen Linien waren schon mehrmals da),
der uns fast bis oben hin bringt. Und tatsächlich ist die
Aussicht grandios, weil die Hügel so hoch sind, unter uns
beginnt die Market Street und läuft schnurgerade bis in den
Financial Districht, dessen Hochhäuser ganz hinten stehen.
Und natürlich die Bay Bridge, Alcatraz und die Golden Gate
Bridge sind zu sehen. Runter laufen wir zu Fuß, nehmen den
direkten Weg. Hier, zwischen Twin
Peaks und dem Buena Vista Park ist angeblich das
Schwulenviertel der Stadt. Aber es sieht ganz normal aus (Gut,
was soll man da auch sehen? Sind wir wieder einmal
vorurteilsbeladen!). Und nördlich davon ist Haight Ashbury,
wo die Hippie-Bewegung ihren Ursprung hatte, das sieht man
angeblich heute noch. Wir haben aber leider keine Zeit.... Unten
an der Market Street probieren wir noch ein anderes
Verkehrsmittel aus, die Metro, von der es auch nur eine Linie
gibt. Das ist eine Straßenbahn, die unter der Erde wie eine
U-Bahn fährt, und auch ziemlich modern und schnell ist. Hier
gilt überraschenderweise auch unser Cable Car-Ticket.
Blitzschnell sind wir wieder in der Innenstadt. Jetzt brauchen
wir nur noch einen Bus, der uns zur Golden Gate Bridge bringt,
über die wir zu Fuß drübergehen wollen und den
Sonnenuntergang genießen. Aber der Bus kommt einfach nicht,
wir sehen, dass er heute nicht mehr fährt; dann irren wir
herum, um eine andere Buslinie zu nehmen, die uns zur Brücke
bringt, aber wir finden die Haltestelle nicht. Die Sonne ist
untergegangen, und es gäbe noch so viel zu sehen. Die Cable
Car Barn, von wo aus die Cable Cars angetrieben werden. Der Coit Tower. Ashbury Haights
hätte ich auch gerne gesehen. Vielleicht auch Berkeley. Und
wir haben es nicht einmal geschafft, die Golden Gate Bridge bei
Tag aus der Nähe zu sehen. Aber Cable Car will ich noch
einmal fahren. Auf der California Street, bis auf den
höchsten Punkt. Die Abendsonne läßt die Schienen
wieder glänzen. Das ist schön, unten sieht man das
Lichtermeer der Stadt. An der Straßenecke steht
seltsamerweise jemand, der als Ritter verkleidet ist (?). Jetzt
brauchen wir etwas zu essen, wir suchen uns ein Restaurant in
Chinatown, das Essen ist etwa genauso wie in den Chinarestaurants
in Deutschland. Danach sehen wir Schienen, und laufen ihnen
hinterher, bis wir zu einer Cable Car-Haltestelle kommen. Nach
einer Weile taucht dann auch ein Wagen auf (leider wieder sehr
voll), und bringt uns zur Market Street. Auf Wiedersehen, San
Francisco, wir fahren mit der BART zurück nach Oakland. Wir waren jetzt ca. 16
Stunden unterwegs, aber der Tag ist noch nicht zu Ende. Wir
müssen das Auto ausräumen, und fahren dann auf den
Highway, wo wir bald eine Tankstelle sehen, wo wir volltanken und
das Auto waschen. Der Sauger ist leider defekt, aber der Tankwart
nennt uns eine andere Tankstelle. Dort ist ein 24h-Supermarkt, wo
wir jetzt, gegen Mitternacht, noch Zigaretten einkaufen, die wir
Bekannten versprochen haben. Dann kaufen wir uns einen Chip
für den Staubsauger und reinigen das Auto. Zurück im
Motel müssen wir unsere Koffer packen; was vom Camping noch
übrig ist, Holzkohle, Alufolie, Streichhölzer,
Kartoffeln, lassen wir im Zimmer zurück, vielleicht
können die vom Motel es noch brauchen.